Der Hauptplatz Österreichs
ESSAY. Der Heldenplatz: Die „Vollzugsstätte“des „Anschlusses“am 15. März 1938 steht im Mittelpunkt des aktuellen Gedenkens.
Es ist der 15. März des Jahres 1938 gegen elf Uhr vormittags. Der Führer und Reichskanzler NS-Deutschlands, Adolf Hitler, verkündet vom Altan der Neuen Hofburg in Wien aus der auf dem Heldenplatz jubelnden Menschenmenge den „Anschluss“Österreichs an das Deutsche Reich in Form einer Vollzugsmeldung „vor der Geschichte“. Österreich hat aufgehört, als eigenständiger Staat zu existieren. Zur selben Zeit hat die Verfolgung politischer Gegner bereits begonnen. Was folgt, sind sieben Jahre Diktatur, Unterdrückung, Demütigung, Verfolgung und Massenmord, dazu ein verheerender Krieg. Sieben Jahre später waren die beiden Reiterstandbilder auf dem Heldenplatz zum Schutz gegen Bombenschäden eingemauert, der Platz von einem behelfsmäßig angelegten Löschteich beherrscht. Unmittelbar nach Kriegsende wurde in Zeiten extremer Lebensmittelknappheit auf dem Heldenplatz Gemüse angebaut.
Wie viele „Ostmärker“an jenem 15. März 1938 auf dem Heldenplatz dem neuen Herrscher zujubelten, lässt sich nicht eindeutig feststellen: Schätzungen gehen von bis zu 300.000 aus. Einer in dieser Menge war der dreizehnjährige Ernst Jandl, der dem Ereignis 24 Jahre später mit seinem Gedicht „wien: heldenplatz“ein literarisches Denkmal setzte. Darin wird die Kundgebung als ein orgiastisches, implizit gewaltgeladenes, zugleich aber groteskes Spektakel geschildert. Und obwohl in dem Gedicht jeder explizite Hinweis fehlt, ist für jeden mit der österreichischen Geschichte Vertrauten schon allein durch den Titel unmiss- erkennbar, um welches Ereignis es hier geht. Der Wiener Heldenplatz steht bis heute für die Kapitulation eines Teils der österreichischen Gesellschaft vor dem Nationalsozialismus. Ob es der größere Teil war, darüber wird bis heute diskutiert. Ebenfalls bis heute sind es die Bilder, Film- und Tonaufnahmen der nationalsozialistischen Propaganda mit ihrer Zurschaustellung entfesselter Emotionen, die das visuelle Gedächtnis an das Ereignis bestimmen.
Die Kundgebung war sorgfältig geplant: Betriebe und Ämter mussten um zehn Uhr schließen, wobei eigens angeordnet worden war, dass den Beschäftigten dadurch kein Einkommensverlust entstehen dürfe. Über den Rundfunk wurden die Treffpunkte durchgegeben, von denen sich die Kolonnen in Marsch setzten, ganze Schulen und Betriebsbelegschaften wurden geschlossen zum Heldenplatz geleitet. Dass der „Anschluss“derart problemlos vonstattenging, überraschte die Nationalsozialisten. Bis zuletzt stand die Option einer Besetzung mit militärischen Mitteln im Raum, zur Sicherung der Kundgebung waren eigens größere Kontingente an Berliner Polizeibeamten, erkennbar an ihren hellgrünen Uniformen, nach Wien gebracht worden.
Am Tag nach der „Anschluss“-Kundgebung wurde gleichfalls auf dem Heldenplatz die Wiener Polizei in Gegenwart von Heinrich Himmler auf die neuen Machthaber angelobt. Am selben Tag konnte das Parteiorgan der NSDAP, der „Völkische Beobachter“, erstmals auch offiziell in Wien erscheinen. Im nicht namentlich gezeichneten Leitartikel wird die historische Bedeutung des Heldenplatzes in nationalsozialistischer Lesart als zentraler Ort deutscher Geschichte unter Bezugnahme auf die Reichsinsignien in der Schatzkammer der Hofburg erläutert.
Adolf Hitler selbst war freilich auf derartige Erklärungen nicht angewiesen. Wie sein Jugendfreund August Kubizek in seinen Erinnerungen ausführt, hatte sich Hitler während seiner Wiener Jahre mit Ideen für eine mögliche Umgestaltung des Heldenplatzes beschäftigt, wobei er das gesamte Areal bis zu den alten Hofstallungen, dem heutigen Museumsquarverständlich tier, zu einem architektonisch geschlossenen Ensemble zusammenfassen wollte. Dass der junge Hitler dabei einfach die jahrzehntealten Pläne des Architekten Gottfried Semper für ein „Wiener Kaiserforum“referierte, hat Kubizek offenkundig nicht gewusst.
Entstanden ist der ursprünglich einfach „Äußerer Burgplatz“genannte städtische Raum durch einen Gewaltakt. Im Jahr 1809 sprengten die napoleonischen Truppen vor ihrem Abzug aus Wien jene Teile der Stadtbefestigung, die in unmittelbarer Nähe der kaiserlichen Burg lagen. Die ersten architektonischen Akzente auf