Volksempfänger sind tot
Statt lebensverlängernder Maßnahmen für ein Konzept im Wachkoma braucht es die Neuerfindung des öffentlich-rechtlichen Mediums.
ORF eins und ORF 2 erhalten durchgehend getrennte Senderführungen. Dieses Channel Management bringt stärkeren internen Wettbewerb und birgt höheren Abstimmungsbedarf.
Die Kritik daran ortet die Zerschlagung der TV-Information, neue parteiliche Einflusssphären und Machtzuwachs des Generaldirektors. Den roten Letztentscheider kann der türkis-blau dominierte Stiftungsrat aber jederzeit ablösen.
Ein solches Bedrohungsszenario wirkt wie geschaffen für vorauseilenden Gehorsam und politische Umfärbung. Also geht es um Namen. Doch das ist die gefühlt hundertste falsche öffentliche Diskussion zu einem grundsätzlich richtigen und wichtigen Thema.
Das gilt im Kleinen dafür, dass die Sinnhaftigkeit von Kanaltrennung in komplementärer Konkurrenz weniger erläutert wird als die ausführenden Personen. Mehr als solche Interna interessieren den Hauptfinanzier des Unternehmens – das Publikum – aber die dadurch entstehenden Programme.
Das gilt im Großen für alle Debatten zum ORF. Die permanente Polarisierung um Parteieneinfluss und Personalauswahl verdeckt die politische Planlosigkeit für ein öffentlich-rechtliches Medium 60 Jahre nach seiner Gründung und 50 Jahre nach seiner letzten wirklichen Neukonstruktion.
Der ORF heute ist immer noch das Gebilde von 1995 zur Abwehr deutscher Privatsender. Die jetzt geplante Umorientierung des ersten TVKanals gehorcht einer seit zwei Jahrzehnten erhobenen Forderung nach Besinnung auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag. Der Plan für mehr österreichische Musik in Ö 3 genügt nicht, um auch die Radiosünde zu korrigieren.
Insgesamt sind das bloß Symptombehandlungen durch inhaltlich richtige Rückschritte. Um dem ORF Fortschritt zu ermöglichen, muss es zeitgemäße Antworten darauf geben, ob eine nationalstaatlich und demokratisch organisierte Gesellschaft inmitten von Globalisierung und Digitalisierung ein gemeinschaftlich finanziertes Medium braucht – und: welches?
U m die erste Frage klar zu bejahen, benötigt es eine breite öffentliche Diskussion bis zu Volksbegehren und -abstimmung. Die zweite Antwort ist viel schwieriger und ein Expertenthema. Nur so viel ist sicher: So wie bei der Gründung des ORF der Volksempfänger ein Phänomen von gestern war, so ist es heute der Rundfunk.
Statt immer neuer lebensverlängernder Maßnahmen für ein Konzept im Wachkoma braucht es die Neuerfindung eines demokratiepolitisch maßgeblichen Mediums auf Grundlage der öffentlichrechtlichen Idee.