Türkei driftet trotz EU-Hilfe ab
Milliarden Euro sollen Ankara beitrittsreif machen. Heute hört der Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments einen Bericht des Rechnungshofes – mit ernüchternden Details.
Montagnachmittag, Brüssel: Im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET) sagt EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn über die Arbeit am „Erweiterungspaket 2018“, die Bemühungen – vor allem um die Westbalkanstaaten – „zeitigen Erfolge“, und hebt Albanien und Mazedonien besonders hervor. Im Gegensatz zur Türkei: „Sie entfernt sich weiterhin signifikant von der EU.“
Das ist natürlich nicht neu, Hahn hat das früher schon gesagt, doch erscheint das angesichts der hohen Beträge, die aus Brüssel in das Land am Bosporus fließen, in besonders grellem Licht. Was passiert mit den Mitteln? Wie weit sind die Projekte wirklich? Heute wird im Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments genau solchen Fragen nachgegangen, dort wird der jüngste Bericht des Europäischen Rechnungshofes vorgestellt.
Ein Bericht, der zwar der Kommission als Auftraggeber der Maßnahmen nicht per se ein schlechtes Zeugnis ausstellt und auch einzelne funktionierende Projekte erwähnt, im Großen und Ganzen aber kein gutes Haar an der langfristigen Wirkung lässt.
– den Einsatz dieser Summe nahm der Rechnungshof unter die Lupe. Es ist die jüngste Tranche unter dem Titel „Heranführungshilfe“, eingesetzt in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Regierungsführung und Humanressourcen; insgesamt sollen der Türkei für die Jahre 2007 bis 2020 neun Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden.
Hauptkritikpunkt der Prüfer ist „mangelnde Nachhaltigkeit“. Es sei auf „grundlegende Erfordernisse kaum eingegangen“worden, heißt es da. Konkret genannt werden die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, die Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene ebenso wie das organisierte Verbrechen, die Pressefreiheit, die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Eine Analyse, zu der im Wesentlichen auch die Kommission schon gekommen war. Der simple Grund: „Es mangelt den türkischen Behörden an politischem Willen.“
Anlass zur Sorge gibt unter anderem, dass es immer wieder zu massiven Verzögerungen kommt, allein schon deshalb, weil nach dem Putschversuch 2016 Abertausende Mitarbeiter aus Justiz, Exekutive und Verwaltung entlassen worden waren und die personellen Kapazitäten schlicht nicht reichen. Obwohl die Türkei nach der Bewerbung 1999 seit dem Jahr 2005 offiziell Beitrittskandidat ist, konnten bis 2017 gerade einmal 16 von insgesamt 35 Kapiteln überhaupt eröffnet werden.
Die Prüfer des Rechnungshofes listen eine Reihe von Vorha-
ben auf, die in Schieflage sind, sich verzögert oder gar nicht erst begonnen haben. Etwa die Verbesserung der Effizienz des Strafrechtssystems (durch Schulungen – hier kam es zum Bruch durch die Entlassungswelle) – oder die Unterstützung der Pressefreiheit, für die es überhaupt nur zwei Miniprojekte gab. Wie ein schlechter Scherz mutet das Vorhaben an, mithilfe der EU-Gelder eine „Unterstützung der türkischen Zivilgesellschaft“zu erwirken. Eher trocken merken die Prüfer an, dass das Thema in keiner nationalen Strategie aufgegriffen worden und vielmehr die Versammlungsund Redefreiheit ernsthaft beschnitten sei.
Grundsätzlich meint der Rechnungshof, dass in Zukunft mehr Bedingungen an die Förderungen zu knüpfen seien, zumal die Nachhaltigkeit auch jener Projekte, die erfolgreich ab- gewickelt wurden, offen ist. Sprecherin Bettina Jakobsen: „Ab 2018 sollte die Kommission die Mittel für die Türkei gezielter in den Bereichen einsetzen, in denen Reformen überfällig und für glaubhafte Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt erforderlich sind.“Das Förderkonzept an sich wird nicht infrage gestellt.
Für die Betreuung der mehr als drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei hat die Kommission inzwischen, wie berichtet, die Zahlung einer weiteren Tranche von drei Milliarden Euro zugesagt, über deren Teilfinanzierung durch die Mitgliedsstaaten ein Disput ausgebrochen ist. Auch Österreich steht auf dem Standpunkt, das Geld solle aus dem EU-Budget kommen – wahrscheinlich wird es eine „50:50-Finanzierung“, hieß es gestern aus Parlamentskreisen.