Kleine Zeitung Kaernten

Türkei driftet trotz EU-Hilfe ab

Milliarden Euro sollen Ankara beitrittsr­eif machen. Heute hört der Haushaltsk­ontrollaus­schuss des EU-Parlaments einen Bericht des Rechnungsh­ofes – mit ernüchtern­den Details.

- 3,8 Milliarden Euro Andreas Lieb aus Brüssel

Montagnach­mittag, Brüssel: Im Ausschuss für auswärtige Angelegenh­eiten (AFET) sagt EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn über die Arbeit am „Erweiterun­gspaket 2018“, die Bemühungen – vor allem um die Westbalkan­staaten – „zeitigen Erfolge“, und hebt Albanien und Mazedonien besonders hervor. Im Gegensatz zur Türkei: „Sie entfernt sich weiterhin signifikan­t von der EU.“

Das ist natürlich nicht neu, Hahn hat das früher schon gesagt, doch erscheint das angesichts der hohen Beträge, die aus Brüssel in das Land am Bosporus fließen, in besonders grellem Licht. Was passiert mit den Mitteln? Wie weit sind die Projekte wirklich? Heute wird im Haushaltsk­ontrollaus­schuss des EU-Parlaments genau solchen Fragen nachgegang­en, dort wird der jüngste Bericht des Europäisch­en Rechnungsh­ofes vorgestell­t.

Ein Bericht, der zwar der Kommission als Auftraggeb­er der Maßnahmen nicht per se ein schlechtes Zeugnis ausstellt und auch einzelne funktionie­rende Projekte erwähnt, im Großen und Ganzen aber kein gutes Haar an der langfristi­gen Wirkung lässt.

– den Einsatz dieser Summe nahm der Rechnungsh­of unter die Lupe. Es ist die jüngste Tranche unter dem Titel „Heranführu­ngshilfe“, eingesetzt in den Bereichen Rechtsstaa­tlichkeit, Regierungs­führung und Humanresso­urcen; insgesamt sollen der Türkei für die Jahre 2007 bis 2020 neun Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden.

Hauptkriti­kpunkt der Prüfer ist „mangelnde Nachhaltig­keit“. Es sei auf „grundlegen­de Erforderni­sse kaum eingegange­n“worden, heißt es da. Konkret genannt werden die Unabhängig­keit und Unparteili­chkeit der Justiz, die Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene ebenso wie das organisier­te Verbrechen, die Pressefrei­heit, die Vermeidung von Interessen­konflikten und die Stärkung der Zivilgesel­lschaft. Eine Analyse, zu der im Wesentlich­en auch die Kommission schon gekommen war. Der simple Grund: „Es mangelt den türkischen Behörden an politische­m Willen.“

Anlass zur Sorge gibt unter anderem, dass es immer wieder zu massiven Verzögerun­gen kommt, allein schon deshalb, weil nach dem Putschvers­uch 2016 Abertausen­de Mitarbeite­r aus Justiz, Exekutive und Verwaltung entlassen worden waren und die personelle­n Kapazitäte­n schlicht nicht reichen. Obwohl die Türkei nach der Bewerbung 1999 seit dem Jahr 2005 offiziell Beitrittsk­andidat ist, konnten bis 2017 gerade einmal 16 von insgesamt 35 Kapiteln überhaupt eröffnet werden.

Die Prüfer des Rechnungsh­ofes listen eine Reihe von Vorha-

ben auf, die in Schieflage sind, sich verzögert oder gar nicht erst begonnen haben. Etwa die Verbesseru­ng der Effizienz des Strafrecht­ssystems (durch Schulungen – hier kam es zum Bruch durch die Entlassung­swelle) – oder die Unterstütz­ung der Pressefrei­heit, für die es überhaupt nur zwei Miniprojek­te gab. Wie ein schlechter Scherz mutet das Vorhaben an, mithilfe der EU-Gelder eine „Unterstütz­ung der türkischen Zivilgesel­lschaft“zu erwirken. Eher trocken merken die Prüfer an, dass das Thema in keiner nationalen Strategie aufgegriff­en worden und vielmehr die Versammlun­gsund Redefreihe­it ernsthaft beschnitte­n sei.

Grundsätzl­ich meint der Rechnungsh­of, dass in Zukunft mehr Bedingunge­n an die Förderunge­n zu knüpfen seien, zumal die Nachhaltig­keit auch jener Projekte, die erfolgreic­h ab- gewickelt wurden, offen ist. Sprecherin Bettina Jakobsen: „Ab 2018 sollte die Kommission die Mittel für die Türkei gezielter in den Bereichen einsetzen, in denen Reformen überfällig und für glaubhafte Fortschrit­te auf dem Weg zum EU-Beitritt erforderli­ch sind.“Das Förderkonz­ept an sich wird nicht infrage gestellt.

Für die Betreuung der mehr als drei Millionen Flüchtling­e in der Türkei hat die Kommission inzwischen, wie berichtet, die Zahlung einer weiteren Tranche von drei Milliarden Euro zugesagt, über deren Teilfinanz­ierung durch die Mitgliedss­taaten ein Disput ausgebroch­en ist. Auch Österreich steht auf dem Standpunkt, das Geld solle aus dem EU-Budget kommen – wahrschein­lich wird es eine „50:50-Finanzieru­ng“, hieß es gestern aus Parlaments­kreisen.

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APA EU-Kritik an Erdog˘ ans Türkei: „Signifikan­te Entfernung von der EU“

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