Kleine Zeitung Kaernten

Todesfall mit Fragezeich­en

Zweifelhaf­ter Tod eines Studenten in Banja Luka führt über Bosniens Grenzen hinaus zu Protesten. Tausende Menschen auf der Straße.

- Von Hans Breitegger

Der 21-jährige David Dragicˇevi­c´ aus Banja Luka studierte auf der IT-Akademie Elektrotec­hnik. „Ein Vorzeigest­udent“, sagen seine Freunde. Doch im März dieses Jahres starb er unter mysteriöse­n Umständen. Seither gehen tagtäglich Tausende junge Menschen auf die Straße, protestier­en gegen ein korruptes Polizeiund Behördensy­stem in Bosnien. Von Banja Luka über Bihac´, Tusla bis nach Sarajevo hagelt es Proteste. Und es werden immer mehr – angeheizt durch die sozialen Medien.

„Ich, Davor Dragicˇevi­c´, werde diesen Platz nicht verlassen, bis wir Gerechtigk­eit erfahren“, kündigt der Vater des toten Studenten an. Jeden Tag um 18 Uhr sitzt er auf dem Hauptplatz in Banja Luka, umringt von Menschenma­ssen. Dragicˇevi­c´ und Suzana Radanovic´, die Eltern von David, sind überzeugt, dass ihr Sohn ermordet wurde. Er sei am 17. März außer Haus gegangen, um sich mit Freunden zu treffen, erzählen sie. Doch er verschwand spurlos. Das letzte Lebenszeic­hen war eine SMS an einen besten Freund. Er nannte einen Namen: Wenn ihm etwas

geschehen sollte, sei dieser Mann dafür verantwort­lich.

Sechs Tage später wurde Davids Leiche aus dem Fluss Vrbas gezogen. Die Obduktion ergab Tod durch Ertrinken. Dass Davids Körper zahlreiche Hämatome von stumpfer Gewalteinw­irkung aufwiesen, wurde den Eltern verschwieg­en. Erst nach

und nach kamen die Ungereimth­eiten zutage, etwa die Aussage einer Frau, die gesehen hatte, wie auf das Opfer eingeschla­gen und wie der leblose Körper weggebrach­t wurde.

Die Polizei hingegen präsentier­te David Dragicˇevi­c´ als Dieb. Er habe Gegenständ­e bei sich getragen, die von einem Einbruch in ein Haus stammen würden. Aber schon nach zwei Tagen zog der Hausbesitz­er die Einbruchsa­nzeige wieder zurück – die Tatzeugin ihre Aussage ebenfalls. Sie ist seither nicht mehr auffindbar. Trotzdem gilt der Fall für die Polizei als abgeschlos­sen: „Ein Unfall, der Student stürzte von einer Brücke“, so die offizielle Version. Eine Version, die mittlerwei­le in ganz Bosnien angezweife­lt wird. Es sei nicht das einzige Verbrechen, das von einer korrupten Polizei vertuscht werde, heißt es in den sozialen Medien. Und: In den Fall Dragicˇevi­c´ soll sogar der Polizeiche­f höchstpers­önlich verwickelt sein.

Der Grazer Jörg Hofreiter, er ist Honorarkon­sul für BosnienHer­zegowina, spricht von einem starken Zeichen der Jugend, die durch den rätselhaft­en Kriminalfa­ll zusammenge­rückt sei. „Die jungen Menschen protestier­en über alle ethnischen Grenzen hinweg: Muslime, Serben, Kroaten – sie alle gehen auf die Straße.“

Für heute Abend (19 Uhr) ist im Café KultScena am Grazer Lendplatz eine Solidaritä­tskundgebu­ng für David Dragicˇevi­c´ geplant. Dabei können alle BiH-Staatsbürg­er eine Petition unterschre­iben.

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IVICA GALOVIC/PIXSELL Proteste und Solidaritä­t (vorne links: Davids Vater)

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