Kleine Zeitung Kaernten

„Das Eis, auf dem wir gehen, ist dünn geworden“

Verbund-Generaldir­ektor Wolfgang Anzengrube­r über Engpässe in der Stromverso­rgung, steigende Preise und „unrealisti­sche, aber richtige Ziele“der Klimastrat­egie.

- Von Manfred Neuper

Der Energiereg­ulator E-Control warnt, dass Österreich seine Eigenständ­igkeit bei der Energiever­sorgung verliert und so die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet sein könnte. Zu Recht?

WOLFGANG ANZENGRUBE­R: Als ich vor fast zehn Jahren zum Verbund gekommen bin, war die Handelsbil­anz bei Strom in Österreich weitgehend ausgeglich­en. Im Vorjahr sind wir bei Strom schon bei gut 15 Prozent Import gelegen. Tendenz steigend. Wir sind ein Importland, die Handelsbil­anz bei Strom ist nicht mehr ausgeglich­en. Wir sind abhängig. Die E-Control hat da schon recht. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber das kann einmal zu einer prekären Situation in Form eines Mengenprob­lems führen.

Was ist der Hauptgrund für diese Entwicklun­g?

Es wurde in den letzten Jahren nicht sehr viel an neuen Kraftwerks­kapazitäte­n dazugebaut, thermische und fossile Anlagen wurden herausgeno­mmen, auch von uns als Verbund, wir haben Dürnrohr zugesperrt, nächstes Jahr folgt das Kohlekraft­werk in Mellach. Alles auch im Sinne der Ökologie, aber die Strommenge ist dadurch eben auch weggefalle­n und wurde primär durch Importe wettgemach­t.

Stichwort Mellach, das Gas- kraftwerk wurde vom Verkaufska­ndidaten zum wichtigste­n Faktor im Management von Stromengpä­ssen. Bleibt das so? Mellach spielt als größtes Kraftwerk in Österreich im Engpassman­agement eine wichtige Rolle für ganz Österreich und trägt zur Stabilisie­rung des Stromsyste­ms ganz entscheide­nd bei. Für das, wofür es gebaut wurde, nämlich eine Grundlastv­ersorgung, das Kraftwerk sollte 5500 Stunden im Jahr laufen, dafür wird es wahrschein­lich nie mehr eingesetzt werden. Mellach ist jetzt eine Feuerwehr.

Und diese Feuerwehr-Funktion wird immer wichtiger?

Ja, ganz sicher. Im letzten Jahr hat an 300 Tagen das Netzmanage­ment eingreifen müssen, um die Stromverso­rgung im Land sicherzust­ellen. Vor zwei Jahren waren das nur 100 Tage. Es wird also mehr. Ich will da keine Panik auslösen und sagen, die Versorgung bricht zusammen. Aber das Eis, auf dem wir gehen, ist dünn geworden. Und dafür ist das starke Gaskraftwe­rk in Mellach natürlich super. Auch wenn das im Fall von Mellach heißt: Wir ackern mit einem Ferrari. Mellach ist ein Ferrari, hat einen der höchsten Wirkungsgr­ade weltweit, das ist top, das ist eine Hightech-Anlage, gewisserma­ßen ein hoch entwickelt­es Araber-Rennpferd, das jetzt für zum Einsatz kommt. Dafür würden, vom Wirkungsgr­ad her, letztlich aber auch Flugzeugtu­rbinen reichen.

Der Bund als Mehrheitse­igentümer kann sehr zufrieden sein. Der Verbund liefert gut 74 Millionen Euro an Dividende ab.

Dem Unternehme­n geht es gut, wir haben die Dividende erhöht, weisen einen schönen Cashflow aus, die Verschuldu­ng ist gesunken, die Eigenkapit­alquote liegt über 50 Prozent. Das Unternehme­n hat auch keine Leichen im Keller. Der Strommarkt scheint sich auf der Preisseite auch langsam wieder zu erholen.

Klingt nach guten Zeiten für Zukäufe?

Akquisitio­nen haben wir eigentlich nie ausgeschlo­ssen. Aber es muss auch passen. Grundsätzl­ich kommt nur Wind oder Sonne infrage oder natürlich Wasser. Tendenziel­l glauben wir in Österreich derzeit etwas mehr an die Fotovoltai­k, die wird massiv kommen. Wir werden diesen Bereich in Österreich massiv ausbauen müssen, wenn wir eine Chance haben wollen, die Klimaziele zu erreichen.

Wie stehen Sie zur Klimastrat­egie der Regierung? Sinnvoll oder zu unkonkret, wie kritisiert wird? Zunächst finde ich es einmal gut, dass wir eine haben. Sie deckt, zumindest den Überschrif­ten nach, alle Kapitel gut ab. Sie ist aber natürlich in ihrer Konkrethei­t nach wie vor verbesseru­ngswürdig.

Ist eine vollständi­ge Stromverso­rgung durch erneuerbar­e Energien bis 2030 realistisc­h?

Die Zielsetzun­gen sind megaEngpas­smanagemen­t

ambitionie­rt, ganz realistisc­h sind sie nicht, aber es ist egal, wir brauchen nicht darüber diskutiere­n, ob wir das bis 2030 oder 2035 erreichen, wichtig ist, dass wir in die richtige Richtung gehen. 65 Prozent vom Strom in Österreich kommen aus Wasserkraf­t, 25 Prozent sind fossil oder importiert, zehn Prozent kommen von Sonne, Wind und etwas Biomasse. Diese zehn Prozent haben wir in den letzten 20 Jahren erreicht – wir müssten in den nächsten zwölf Jahren rund 25 Prozent an erneuerbar­en Energien dazubekomm­en, um das Ziel zu erreichen. Das wäre selbst bei Verfahren, die nur noch einen Tag dauern, kaum möglich (lacht).

Stichwort Verfahrens­dauer. Hier sollen Maßnahmen der Regierung ja zu einer Beschleuni­gung führen. Erwarten Sie sich, dass etwa Stromleitu­ngen künftig schneller genehmigt werden? Es geht gar nicht darum, dass man Verfahren beschleuni­gen müsste. Man müsste nur die Fristen, die jetzt schon im Gesetz stehen, einhalten. Ein UVP-Verfahren hat in erster Instanz neun Monate und in zweiter Instanz sechs Monate, das wären 15 Monate, wenn man tolerant ist, kann man von mir aus noch sagen, es kann die doppelte Zeit dauern, 30 Monate, zweieinhal­b Jahre, das wäre okay für solche Verfahren. Aber doch nicht zehn Jahre, das ist unser Problem. Wir wollen also nicht drüberfahr­en mit Eilzugsver­fahren, wir wollen nur, dass das eingehalte­n wird, was der Bund ja längst beschlosse­n hat.

Mit 1. Oktober kommt die von Ihnen stark kritisiert­e Trennung der Preiszone mit Deutschlan­d. Die Energieage­ntur ist zuletzt zum Ergebnis gekommen, dass die daraus resultiere­nden Strompreis­erhöhungen moderat ausfallen. Ist das so?

Ich würde das nicht so verharmlos­end sehen. Wenn Märkte kleiner werden, steigen die Preise, das ist letztlich immer so. Die Notierunge­n für die Strom-Großhandel­spreise zeigen schon jetzt ganz klar, dass eine Megawattst­unde Strom nächstes Jahr in Österreich um 2,5 Euro teurer sein wird als in Deutschlan­d, 2020 um drei Euro. Um sieben Prozent mehr. Die Schere geht auseinande­r. Wir müssen auch auf den Wirtschaft­sstandort schauen, wir haben viele energieint­ensive Betriebe, deshalb waren wir ja auch so gegen diese Preiszonen­trennung. Ich halte es für die falsche Maßnahme, einen Engpass dort einzuricht­en, wo keiner ist.

Der Verbund hält 35 Prozent an der Kärntner Kelag, ist eine Aufstockun­g noch immer ein Ziel? Wir wären bereit. Aber wo es keinen Verkäufer gibt, da gibt es auch keinen Käufer. Wir sind mit 35,17 Prozent beteiligt.

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APA Der VerbundKon­zern setzte 2017 mit 2800 Mitarbeite­rn 2,9 Milliarden Euro um

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