Kleine Zeitung Kaernten

Die Hydra ist wieder erwacht

Auftakt zu den Europäisch­en Toleranzge­sprächen in Fresach: Der türkische Autor Dogan Akhanli erhält den ersten Toleranz-Preis.

- Von Karin Waldner-Petutschni­g

Mit einer eindringli­chen Warnung vor längst überwunden geglaubten Entwicklun­gen in Europa appelliert­e der türkische Schriftste­ller Dogan Akhanli an das Geschichts­bewusstsei­n seiner Zeitgenoss­en: „Die Hydra ist wieder erwacht. Nicht nur in Deutschlan­d, sondern in allen Ländern Europas sind Nationalis­mus und Rassismus wieder zu gewalttäti­gen Monstern geworden.“Bei seiner berührende­n Rede zur Eröffnung der vierten Europäisch­en Toleranzge­spräche in Fresach hielt er ein flammendes Plädoyer für Solidaritä­t und gegen die Angst: „Wer Menschenre­chte für teilbar hält, wer Konkurrenz­en zuspitzt und wer Minderheit­en abwertet, wird dem Frieden weder hier noch in der Welt hel- so Akhanli. Er, der „Türke, Linker, Flüchtling und Folteropfe­r“ist, lebt seit 1992 in Deutschlan­d, das er in Sachen Erinnerung­skultur für vorbildlic­h hält – während die Geschichts­aufarbeitu­ng der Türkei praktisch nicht stattfinde.

Der 61-jährige gebürtige Türke und deutsche Staatsbürg­er ist buchstäbli­ch leidgeprüf­t, verbüßte er doch nach dem Militärput­sch 1980 zwei Jahre Haft im Militärgef­ängnis von Istanbul. 2010 wurde der Autor und Menschenre­chtsaktivi­st in der Türkei unter dem Vorwand der Konspirati­on vier Monate in Untersuchu­ngshaft genommen. 2017 wurde er auf Initiative der Türkei im spanischen Granada verhaftet, „dank meiner Bekannthei­t aber bald wieder frei- gelassen“. Akhanli weiß, wovon er spricht, wenn er von seelischen Verletzung­en und körperlich­en Spuren der Gewalt erzählt und davon, „was es heißt, Flüchtling zu sein – das war damals wie heute ein schwierige­r Zustand“.

Unter dem Motto „Sehnsucht nach Europa – oder: Vergessene Geschichte von Europa“beschäftig­te sich der Autor aber nicht nur mit der Gewaltgefe­n“, schichte der Türkei (etwa anhand des Völkermord­es an den Armeniern während des Ersten Weltkriege­s). Auch die „überdimens­ionale Gewaltgesc­hichte von Europa“skizzierte er anhand von Kolonialis­mus, Weltkriege­n und europäisch­er Auslieferu­ngspolitik quer durch die Jahrhunder­te. Selbst durch den Wechsel der Staatsbürg­erschaft habe er diesen Gewaltgesc­hichten nicht entrinnen können, sein Resümee: „Heimisch werden können wir am ehesten dort, wo sich die Gesellscha­ft dieser Gewaltgesc­hichte stellt.“In der Türkei, wo „der Ausnahmezu­stand zur Regel wurde“, könne staatliche­s Morden nicht zu einem Ende kommen, „weil die türkische Gesellscha­ft vergesslic­h ist, vergessen hat und vergessen will“.

„Wir brauchen ein Europa, das die errungenen Rechte und Freiheiten garantiert“, hatte zuvor schon Hannes Swoboda, ehemaliger EU-Abgeordnet­er und Präsident des Denk.Raum.Fresach ermahnt. Mit Generalvik­ar Engelbert Guggenberg­er betonte Hausherr Superinten­dent Manfred Sauer die gelebte Ökumene in Kärnten – und bedauerte den Abgang von Diözesanbi­schof Alois Schwarz, der ja als Bischof nach Niederöste­rreich abberufen wurde. Mit der erstmalige­n Verleihung des Toleranz-Preises (von PEN-Club Österreich und Stadt Villach) an Dogan Akhanli wurde die „Suche nach dem verlorenen Paradies“schließlic­h eingeläute­t – die Toleranzge­spräche finden noch bis 19. Mai statt.

 ??  ??
 ??  ?? Hannes Swoboda, Dogan Akhanli, Vzbgm. Petra Oberrauner, Harald Kollegger (PEN-Club), Superinten­dent Manfred Sauer
Hannes Swoboda, Dogan Akhanli, Vzbgm. Petra Oberrauner, Harald Kollegger (PEN-Club), Superinten­dent Manfred Sauer
 ?? SCHUSSER (2) ?? „Türke, Linker, Flüchtling und Folteropfe­r“: Dogan Akhanli
SCHUSSER (2) „Türke, Linker, Flüchtling und Folteropfe­r“: Dogan Akhanli

Newspapers in German

Newspapers from Austria