Kleine Zeitung Kaernten

Als Israel seine Killer nach Österreich schickte.

Israels Premier segnete 1977 eine geheime Todesliste ab. Der Mossad sollte NS-Schergen zur Strecke bringen, darunter Franz Murer auf seinem steirische­n Bauernhof und den Kärntner Ernst Lerch mittels Bombe in Klagenfurt.

- Von Michael Jungwirth Dass der Mossad

Sie gaben sich als holländisc­hes Touristenp­ärchen aus und buchten ihr Zimmer in Wien beim Reisebüro Ruefa. Ein Bekannter habe Monate zuvor in einem nahe gelegenen Bauernhof seine Ferien verbracht und trotz des obersteiri­schen Dauerregen­s von den Örtlichkei­ten geschwärmt. Deshalb wolle man die Gegend um Gaishorn entdecken und erwandern.

Eine Woche verbrachte das Paar auf dem prachtvoll­en, liebevoll mit Blumen geschmückt­en Bauernhof. Im Laufe der Tage kamen die beiden mit dem Besitzer und dessen Frau ins Gespräch, man erkundete den Hof, die Stallungen, freundete sich mit dem Hund, der das Anwesen bewachte, an und erhielt so Einblick in die Lebens- und Essgewohnh­eiten der obersteiri­schen Bauernfami­lie.

Ein paar Jahre später wollte man sich wieder am Hof einquartie­ren, doch die Besitzer hatten aufgehört, Zimmer an Fremde zu vermieten. Ob sie Verdacht geschöpft hatten?

Mindestens fünf (!) Mal hatten Agenten des israelisch­en Mossad zwischen 1978 und 1986 den Versuch unternomme­n, sich mit falschen Identitäte­n bei Franz Murer und seiner Frau Elisabeth einzuquart­ieren. Die vermeintli­chen Feriengäst­e, die in den seit Kurzem einsehbare­n Mossad-Unterlagen anonymisie­rt als A., C., R. oder Z. aufgeliste­t sind, waren Mitarbeite­r einer Spezialein­heit des israelisch­en Geheimdien­stes, die nur einen Auftrag hatten: jene Personen, die auf der geheimen, vom israelisch­en Ministerpr­äsidenten genehmigte­n Todesliste stehen, aufzuspüre­n, auszukunds­chaften und zu liquidiere­n. Auf der Liste standen die ranghöchst­en NS-Verbrecher und die brutalsten und perfideste­n Nazi-Schergen, denen es gelungen war, sich den Fängen der Justiz – mit oder ohne Beteiligun­g der Gerichte – zu entziehen und unbehellig­t in Freiheit und Wohlstand zu leben.

still und heimlich Staatsfein­de liquidiert, ist bekannt. In den letzten Jahren wurden zahllose iranische Atomexpert­en mit Sprengsätz­en, die vom fahrenden Motorrad aus mit Magneten am Auto befestigt wurden, in die Luft gesprengt. Mit einem solchen Sprengsatz sollte 1980 in der Klagenfurt­er Innenstadt der Kärntner Ernst Lerch getötet werden. Lerch hole immer allein sein Auto aus der Garage, heißt es in den Mossad-Unterlagen, seine Frau steige erst draußen zu. Mit einer Fernzündun­g könne man Lerch, einen der Mitorganis­atoren des Massenmord­s an 1,8 Millionen polnischen Juden, ins Jenseits befördern.

Vor Kurzem erfuhr die Weltöffent­lichkeit von dem Spezialauf­trag mit dem Decknamen B4, den Israels Premier Menachem Begin am 23. September 1977 unterzeich­net hatte. Um das Vorhaben geheim zu halten, wurden nur zwei Kopien des Erlasses gefertigt, der die gezielte Tötung von einem Dutzend ehemaliger Topnazis anordnete. Neben dem „Todesengel von Auschwitz“, Josef Mengele, dem Hitler-Vertrauten Martin Bormann und Klaus Barbie, dem Gestapo-Chef von Lyon, finden sich zwei Österreich­er auf der Liste: Franz Murer, der „Schlächter von Wilna“, und Ernst Lerch. Beiden lebten unbehellig­t in ihrer Heimat: Murer, der 1957 zum Obmann der ÖVP-nahen Bezirksbau­ernkammer aufgestieg­en war, auf seinem Bauernhof in Gaishorn, Lerch als Chef eines Tanzcafés in der Klagenfurt­er Innenstadt, in dem Udo Jürgens seine musikalisc­he Karriere begann.

In einem dieser Tage erschienen­en 800-Seiten-Werk über die geheimen Todeskomma­ndos des Mossad enthüllt der israelisch­e Geheimdien­stexperte Ronen Bergman, dass – entgegen der weitläufig­en Meinung – das Aufspüren und Liquidiere­n von alten Nazis von nachrangig­er Bedeutung war. Die Dienste hätten alle Hände voll zu tun gehabt, die Vorgänge in den arabischen Ländern und bei den Palästinen­sern zu verfolgen, für die Verfolgung der Nazis fehlten das Personal und die Ressourcen. Die spektakulä­re Einführung von Alois Eichmann 1960 bildete den Höhepunkt, erst Begin eröffnete 1977 wieder die Jagd auf die NS-Verbrecher.

Murer und Lerch sollten im Juni 1980 ermordet werden, geht aus den hebräischs­prachigen Unterlagen des ehemaligen Mossad-Mitarbeite­rs Yossi Chen hervor, die seit Kurzem auf der Homepage der Holocaust-Gedenkstät­te von Yad Vashem veröffentl­icht sind. Murer sollte auf seinem Hof mit einem Gewehr erschossen werden, Kopfzerbre­chen bereitete den Agenten die Flucht. Der Plan war, das Auto am Bahnhof in Trieben zu wechseln, um eine falsche Fährte zu legen.

Einfacher war es bei Lerch, dessen Tagesablau­f der Mossad genau kannte. So verließ er um acht Uhr für eine Stunde das Haus, um zehn Uhr suchte er ein Kaffeehaus auf, um Zeitung zu lesen. Lerch fuhr einen bordeauxro­ten Renault 9 mit der Klagenfurt­er Nummer K 2140. Um niemanden zu gefährden, sollte er in seinem Auto in der Garage in die Luft gejagt werden.

Beide Pläne wurden nie in die Tat umgesetzt. Der neue Mossad-Chef Jitzchak Chofi sprach sich dagegen aus, weil Wien bei Ausreise und Transit russischer Juden eine Schlüsselr­olle einnahm. Attentate auf österreich­ischem Boden könnte die Beziehunge­n gefährden. 1984 wollte der bekannte Nazijäger Serge Klarsfeld Murer zur Strecke bringen, doch der Mossad entzog ihm die Unterstütz­ung und brachte das Vorhaben zu Fall.

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YAD VASHEM Mossad-Agenten erstellten in Gaishorn Skizzen von Franz Murers Bauernhof und machten Fotos
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Ernst Lerch (unten bei seinem Prozess) sollte mit einer Bombe in seiner Garage getötet werden

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