Merkels Götterdämmerung
Krach um die Flüchtlingswelle bringt Europa, aber ganz besonders die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in arge Bedrängnis. Ihre Regierung droht zu zerbrechen.
Die Aquarius hatte Glück. Spanien hat der tagelangen Odyssee der 629 erschöpften Migranten an Bord des Schiffs ein Ende bereitet.
Für Europas Asylpolitik ist kein rettender Hafen in Sicht. Seit Jahren treibt sie ziellos durch eine immer aufgepeitschtere See. Jetzt drohen die Wogen das europäische Schiff gar zum Kentern zu bringen. Zwischen Paris und Rom tobt ein hässlicher Streit um die Bootsflüchtlinge. In Berlin könnte der Zwist mit der CSU um die Zurückweisung von Flüchtlingen zum Sturz der Kanzlerin führen. Und in Europa bastelt Kanzler Sebastian Kurz an einer „Koalition der Willigen“, die mit Härte die Migrationsströme stoppen wollen.
Mehr als formelhafte Versatzstücke hatte auch er bisher nicht anzubieten. Nichts dokumentiert das Versagen der EU deutlicher als ihr Unvermögen, eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise zu geben. Und nirgendwo wird zugleich mit so holzschnittartigen Schablonen hantiert wie im europäischen Asyldrama. Dass man Kurz nach seinem Auftritt mit Horst Seehofer in Berlin Nazi-Rhetorik vorwarf, sagt viel aus über die Qualität einer Debatte, in der die moralische Entrüstung längst den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit ersetzt hat. Wenn der Spruch von der „Achse Berlin–Wien–Rom“etwas beweist, dann nicht irgendeine Nähe zum Nationalsozialismus, sondern mangelndes historisches Wissen beim jungen Kanzler.
Aber wer widerspricht? Wo alles doch scheinbar so offensichtlich ist. Die Guten, das sind Politiker wie der neue spanische Premier, der Sozialist Pedro Sánchez, der die Aquarius in Valencia anlegen lässt. Und die Bösen, das sind skrupellose Populisten vom Schlage eines Matteo Salvini und ihre mildere Sorte, Politiker wie Kurz und Seehofer, die ihr eigenes und Europas Heil in nationaler Abschottung suchen und Tausende Unschuldige im Mittelmeer ertrinken lassen.
„Zynismus“wirft Emmanuel Macron dieser Logik folgend dem Lega-Boss vor. Nun, ein Zy- niker, das ist Salvini zweifellos, und ein übler Rassist obendrein, der mit dem Flüchtlingselend Politik macht. Aber geht der französische Präsident nicht gerade selber mit nie da gewesener Härte gegen Migranten im eigenen Land vor? Und was hat eigentlich Macron J für die Aquarius getan? a, was haben die Politiker, die eine europäische Lösung anmahnen, in den vergangenen Jahrzehnten unternommen, um Italien aus seiner misslichen Lage zu befreien? Er werde den Vorstoß Wiens, abgelehnte und neue Asylsuchende in Auffanglagern außerhalb der EU unterzubringen, bis zum letzten Blutstropfen bekämpfen, kündigte Jean Asselborn, der längstdienende EU-Außenminister, an. Man kann die Idee in der Tat für bedenklich halten. Aber wie will der Luxemburger die Auswanderung über das Mittelmeer beenden? Am Mittwoch hat ein Schiff der italienischen Küstenwache wieder über 900 Migranten aus dem Meer gerettet und nach Sizilien gebracht. Wo war Asselborn? Weit weg. Er ist nur für die Moral zuständig. Den Rest überlässt er den anderen, die er für ihre Unmoral prügelt.