Pflastersteine, Schreiduelle: Das Ende der Konsens-Demokratie
Eine äußerst emotionale Debatte im Nationalrat mündete in die Ermöglichung des 12-Stunden-Tages. Der ÖGB stellt bereits einen Arbeitskampf in den Raum.
Die wohl aufsehenerregendste Aktion des Tages fand nicht im Parlament statt, sondern – ein Tabubruch – vor den Häusern einzelner Parlamentarier. Unbekannte Aktivisten hatten über Nacht vor den privaten Betrieben und Büros von Salzburger ÖVP- und FPÖ-Mandataren makabre Botschaften hinterlassen: Pflastersteine, Grablichter und Botschaften wie „Arbeitnehmerverräter!“begleiteten Plakate mit dem durchgestrichenen 12er-Logo, das der ÖGB zum Symbol des Protests erkoren hatte.
Grablichter und Pflastersteine – eine bedrohliche Symbolik, die auch SPÖ und Gewerkschaft zu weit gingen: Parteichef Christian Kern etwa erklärte, mit dieser Sache nichts zu tun zu haben, er lehne sie zutiefst ab: „Das war idiotisch“, so Kern.
Im Nationalrat selbst ging es dagegen unversöhnlich zur Sache: ÖVP und FPÖ hatten schon vergangene Woche, noch bevor rund 100.000 Menschen in Wien dagegen protestiert hatten, weitere Zugeständnisse bei ihrer Arbeitszeitnovelle ausgeschlossen. Einzig die Verankerung, dass die 11. und 12. Stunde Arbeitszeit am Tag ohne Angabe von Gründen und ohne nega- Konsequenzen abgelehnt werden darf, hat die Koalition per Abänderungsantrag noch eingearbeitet.
Ein Antrag, der allerdings auch eine andere, unerwartete Neuerung bringt – entgegen dem Entwurf, auf dem die Debatte bisher aufgebaut hat, wird die Novelle nicht erst mit 1. Jänner 2019, sondern bereits mit 1. September in Kraft treten.
die Koalition das damit, dass die neue Rechtslage so schon in die kollektivvertraglichen Gehaltsverhandlungen im Herbst einfließen könne
– die Opposition vermutet, dass es eher darum gehe, Protestmaßnahmen in der Ferienzeit zu halten. Eine „Win-winSituation“für Arbeitgeber und Arbeitnehmer stellt die Reform aus Sicht von ÖVPKlubomann August Wöginger in seiner Rede im Nationalrat dar, Kern sieht dagegen einen „Angriff auf die Arbeitnehmer“und teilt deftig in Richtung der Regierungsparteien aus: „Sie werden als Arbeitnehmerverräter in die Geschichte eingehen.“
Begleitet wurde die lebhafte Debatte von einem Taferlduell: Die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ versicherten auf Schildern, dass sich ohnehin wenig ändern würde: „8 Stunden am Tag“, „40 Stunden in der Woche“, „es bleibt dabei“.
Die SPÖ hielt den Verbotstafeln mit den Zahlen 12 und 60 entgegen.
Die Fakten liegen tatsächlich zwischen diesen Polen: Richtig ist, dass die Normalarbeitszeit auch nach der Reform täglich bei maximal acht, wöchentlich bei 40 Stunden bleibt – alles darüber hinaus stellt Überstunden dar. Was sich ändert, ist, dass es künftig wesentlich eintive facher wird, mit solchen Überstunden bis zu zwölf Stunden Arbeit am Tag zu vereinbaren.
war bisher nur in streng geregelten Ausnahmefällen möglich, etwa mit Zustimmung des Betriebsrates. Ab September wird es dagegen möglich, solche Mehrstunden individuell zu vereinbaren.
Außerdem werden weitere Gruppen – bisher waren das vor allem leitende Angestellte – komplett vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen. Das betrifft einerseits nahe Angehörige der Unternehmer, die im Betrieb mitarbeiten – und andererseits Mitarbeiter, die selbstständig Entscheidungen treffen dürfen.
Außerdem ändern sich die Ruhebestimmungen für Mitarbeiter in Gastrobetrieben: Wenn ein Dienst in zwei von mindestens drei Stunden Pause getrennten Blöcken geleistet
Sie werden als Arbeitnehmerverräter in die Geschichte eingehen.
wird, verkürzt sich die Ruhezeit dazwischen von bisher elf auf drei Stunden.
Die Koalition hatte diese Änderungen, die bereits im Regierungsprogramm vereinbart worden waren, nicht wie üblich als Regierungsvorlage eingebracht, sondern als Initiativantrag von Abgeordneten, der kein wochenlanges Begutachtungsund Korrekturverfahren mit sich bringt.
Eine Vorgehensweise, die besonders bei Gewerkschaft und Arbeiterkammer für Empörung sorgt: Der Wiener AK-Direktor Christoph Klein ortet etwa zahlreiche „handwerkliche Mängel“in dem Gesetzespaket. Als letzter
Redner kam nach viereinhalb Stunden und 51 Rednern ÖGBPräsident Wolfgang Katzian (SPÖ) zu Wort, der indirekt mit Arbeitskampf drohte.
Aufhalten ließ sich die Koalition davon nicht: Die Novelle wurde am Ende nicht nur mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen, sondern auch mit Unterstützung der Neos, die zuvor heftige Kritik geübt hatten – nicht nur des beschleunigten Gesetzgebungsprozesses wegen, sondern auch, weil Regelungen wie die Ausweitung um selbstständig Angestellte „überschießend“sei. Am Ende überwog der Wunsch nach mehr Flexibilität.
Eine Win-winSituation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
ÖVP-Klubobmann August Wöginger