Roman oder nicht Roman?
Zwei Favoriten am ersten Lesetag, zwei neue Jurorinnen und überaus angeregte Diskussionen prägten den Auftakt des Wettlesens.
Zwei Jugendliche sitzen kiffend auf einem Sandhügel in einer Vorortsiedlung irgendwo in Deutschland. Nur die „Länge eines Joints“(Juror Stefan Gmünder) dauert die Episode „Lumumbaland“, die der deutsche Schauspieler, Regisseur und Autor Stephan Lohse schilderte – und dafür fast einhelliges Lob erhielt. Nora Gomringer, Bachmannpreisträgerin 2015 und heuer neu in der Jury dabei, „wäre dankbar, wenn diese charmante Geschichte einer Freundschaft weiter erzählt würde.“Die Coming-of-age-Story im Stil von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“sahen viele als Anfang eines Romans – was der Autor aber weder abwehrte noch bestätigte.
Eindeutig ein Auszug aus einem umfassenderen Werk war hingegen der zweite Preisanwärter des ersten Lesetages in Klagenfurt. Joshua Groß erntete mit seinem Text „Flex in Miami“Begeisterung. „Toll gemacht, das ist ein Text mit Groove, ich mag den Sound“, freute sich Hildegard E. Keller über die „sprachliche Spiellust“des 29-jährigen Deutschen. Vorgeschlagen war er vom zweiten Neuzugang der Jurorenriege worden: Die deutsche Literaturkritikerin Insa Wilke stürzte sich von Anfang an in die Diskussionen und scheute sich auch nicht, ihren Kollegen voll Eifer ins Wort zu fallen. Als ihr Sitznachbar Klaus Kastberger Joshua Groß als „jazzrockigen Bruder von Clemens Setz“bezeichnet, muss er kurz einen neuerlichen Kommentar von Insa Wilke abwürgen – „sonst komm ich noch mit meinem Lob durcheinander und es wird dann doch womöglich eine Kritik“(Kastberger). Auch in diesem Text, der durchaus zu den Favoriten zählen könnte, geht es um Drogenerfahrung, aber vor allem um „Science-Fiction-mäßige Sozialkritik“(Keller) „moderner Hippies“(Gmünder).
Den „Privatpreis für den besten ersten Satz“hat Klaus Kastberger schon der zweiten Leserin des Tages verliehen – das war aber auch alles. Martina Clavadetschers „Schnittmuster“ konnte dann weder ihn noch seine Jurykollegen wirklich begeistern. Von „seltsamen Tonfall“, „Erzählexperiment“und „überfrachteter Metaphorik“war da die Rede. Die von Hildegard E. Keller eingeladene 38-jährige Schweizerin lässt in ihrer Geschichte eine soeben verstorbene 92-Jährige zu ihrer Enkelin von ihrem mühsamen Leben sprechen.
Überladen fand auch der ein oder andere Juror den Eröffnungstext des ersten Lesetages von der einzigen österreichischen Teilnehmerin Raphaela Edelbauer (siehe Interview nebenan). Der Beitrag der 28-jährigen Wienerin dreht sich um den gefährlichen Hohlraum unter einer Kleinstadt, der von einem „Ausfüllungstechniker“geschlossen werden soll, stieß allerdings auf nur geteilte Zustimmung. Erinnerungen an das Grubenunglück von Lassing hatte dabei nicht nur Klaus Kastberger, der Edelbauer auch eingeladen hatte. Für Lacher sorgte ein Kommentar Nora Gomringers, die seit Beginn des Bewerbes mit sprechenden TShirts für Schmunzeln sorgt: „Eigentlich sind ja alle Männer Auffüllungstechniker!“