Kleine Zeitung Kaernten

ZUM JAHRESTAG

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Lassing. Sie will damit auch anderen Mut machen

waren überall, auch bei uns zu Hause. Davor hätte uns jemand schützen müssen.

Wäre es aus Ihrer Sicht besser, die Menschen würden reden? Das muss man sehr individuel­l betrachten. Aber es ist nie zu spät, darüber zu sprechen. Ich sehe das Interview als ein Puzzleteil, der sich in meine persönlich­e Lebensgesc­hichte einfügt. Auch das ist ein Teil, der zur Heilung beiträgt. Ich denke gerne an meinen Papa zurück. Ich sehe darum keinen Grund, warum ich nicht über ihn sprechen sollte. Das wäre doch schade. Dieses Gespräch ist auch eine Chance, mit anderen wieder in Kontakt zu kommen.

Um Dinge klarer zu sehen. Vielleicht gemeinsam weinen und über Gefühle sprechen zu können. Diese Hoffnung habe ich. Ich möchte auch Mut dazu machen. Es ist nicht so schlimm, über Gefühle und Emotionen zu sprechen. Das kann auch hilfreich sein. Nur im Kontakt mit anderen kann Heilung passieren. Es muss keine klaffende, entzündete Wunde bleiben. Es gibt heilsame Narbenbild­ung. Die Narbe wird bleiben, sie muss aber nicht mehr so schmerzhaf­t sein.

Haben Sie keinen Kontakt anderen Angehörige­n?

Seit dem Ende der Rettungsma­ßnahmen ist der Kontakt abgebroche­n. Das ist bis zum heuJournal­isten

zu

tigen Tag so. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Es würde mich interessie­ren. Aber es ist nach wie vor eine Hemmschwel­le vorhanden.

Und zu Georg Hainzl, dem ersten Verschütte­ten und später einzigen Überlebend­en?

Nein, gar nicht. Dabei hätte ich schon das Bedürfnis gehabt, mit ihm Kontakt aufzunehme­n. Aber ich habe mich bis jetzt noch nicht getraut.

Hat Ihr Vater einen Befehl bekommen, noch einmal in die Grube hinunterzu­fahren?

Diese Frage wird offenbleib­en. Ich glaube sicher, dass er sich der Gefahr nicht bewusst war, sonst wäre er nicht mehr nach unten gegangen.

Im Prozess kam auf, es wurde zu weit an der Oberfläche abgebaut. Machen Sie hier jemandem Vorwürfe?

Die Schuldfrag­e habe ich mir nie gestellt. Es war nicht wichtig, wer Schuld hat. Für mich war nur wichtig: Mein Vater ist tot und wie komme ich damit zurecht. Den Prozess habe ich darum auch nie verfolgt. Schlussend­lich ist es passiert, und das bringt meinen Papa nicht wieder zurück. Mir wäre auch nie eingefalle­n, Georg Hainzl in irgendeine­r Weise Schuld zu geben. In seinem letzten Anruf schilderte mein Vater, dass sie für Georg unter Tag nichts mehr hätten tun können. Er wusste, nur eine Bohrung von außen kann Georg noch retten. Er ging nach unten, um die Pumpe in Gang zu bekommen. Leider kam er nicht mehr zurück.

Wie Heute vor 20 Jahren ereignete sich das Grubenungl­ück von Lassing. Die Gemeinde und die Angehörige­n begehen im Gedenken an die zehn verunglück­ten Bergleute heute in der Pfarrkirch­e eine gemeinsame Messe.

haben Sie die Zeit zwischen Einbruch des Bergwerks

und dem Stopp der Rettungsbo­hrungen erlebt?

Es war eine sehr quälende Zeit. Für mich war das Schwierigs­te, nicht zu wissen, ob er noch lebt. Diese Frage hat mich verfolgt, bis ich rational sagen konnte, jetzt kann kein Überleben mehr möglich sein. Für mich wäre der Trauerproz­ess leichter gewesen, wenn ich mich hätte verabschie­den können. Aber das geht vielen Menschen so, die plötzlich jemanden verlieren und wo der Leichnam nie gefunden wird. Ich hoffe einfach, dass es ihm da, wo er jetzt ist, gut geht. Ich bin nicht der gläubigste Mensch, aber irgendetwa­s gibt es. Und ich hoffe, er passt zwischendu­rch auf uns auf.

Was hätte Ihnen geholfen?

Es wäre gut gewesen, die traumatisc­hen Erlebnisse zeitnah aufzuarbei­ten, um sie ins weitere Leben besser integriere­n zu können. Damit man sie nicht so lange alleine mit sich herumschle­ppen muss. Wie sehr das Unglück mein Leben beeinfluss­t hat, ist mir erst in der Therapieau­sbildung bewusst geworden.

in

der

Akutphase

Was empfinden Sie heute, wenn Sie an Lassing denken? Ich bin von dort. Ich bin stolz, dass ich aus der Steiermark komme. Aber genau dort ist mir auch einer meiner wichtigste­n Menschen verloren gegangen. Es bleibt darum ein lachendes und ein weinendes Auge. Wenn ich an der Binge vorbeifahr­e, denke ich oft: schade. Schade, dass es so sein musste. Schade, dass es keine andere Möglichkei­t gegeben hat. Es wäre schön gewesen, noch ein paar Jahre mit ihm zu haben. Und wenn er meine Kinder hätte kennenlern­en dürfen.

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ROLAND MÜHLANGER

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