Weltmeisterschaft der Superlative
ANALYSE. Harte Arbeit, mentale Stärke und modernes Know-how führen im Fußball zum Erfolg. Aber ein glücklicher Spielverlauf, wie es das Finale gezeigt hat, ist nicht zu beeinflussen.
Die WM in Russland hat eindrucksvoll bestätigt, aus welchen Modulen sich die Erfolgsformel im Fußball zusammensetzt: Unbedingter Glaube an den Erfolg, harte Arbeit, modernes Know-how und dazu kommt noch ein Faktor, der bei aller Vorbereitung ganz und gar nicht beeinflusst werden kann, nämlich ein glücklicher Spielverlauf in entscheidenden Momenten.
Kroatien war im Finale, genauso wie im ganzen Turnier, mental extrem stark, optimal vorbereitet, hat um jeden Millimeter gekämpft und hat objektiv besser gespielt als Frankreich. Taktik, Aufstellung und Einstellung waren sehr, sehr gut. Und Frankreich hat im Luschniki-Stadion von Moskau über lange Zeit eines seiner schlechtesten Spiele abgeliefert. Aber dieser Tag schien für die Franzosen reserviert zu sein, die wichtigsten Situationen sind für die Kroaten sehr unglücklich gelaufen.
Das erste Tor war für mich weder ein Foul noch eine Schwalbe. Schiedsrichter Nestor Pitana, den ich schätze, hätte weiterspielen lassen müssen – da ist ihm ein gravierender Fehler unterlaufen und er war insgesamt nicht auf dem Niveau, das ein Weltmeisterschaftsfinale erfordert. Für eine Schwalbe war bei Griezmann zu wenig Simulation da. Dann konnten die Kroaten dank ihrer mentalen Stärke ausgleichen und kurz darauf kam der Handelfmeter für Frankreich: Pitana hat in dieser Situation das umgesetzt, was die FIFA vorgegeben hat. Die Entscheidung war jedoch zu hart, weil die Reaktionszeit von Perisic für ein absichtliches Handspiel einfach zu kurz gewesen ist.
Erst nach dem 3:1 waren die Kroaten wirklich gebrochen. Dabei haben die nackten Spieldaten eine völlig andere Sprache gesprochen: Egal ob Ballbesitz, Zweikampfbilanz oder Torchancen – überall lag Kroatien vorne. Aber es war Frankreich an diesem entscheidenden WM-Tag bestimmt, den Pokal zu holen, und sie haben immer zum richtigen Zeitpunkt ihre wenigen Chancen mit hoher Effizienz verwertet. Man kann die Spielweise der Franzosen als destruktiv und zögerlich bezeichnen, aber auch als clever und eben weltmeisterlich. Trainer Didier Deschamps hat es geschafft, aus vielen Individualisten ein geschlossenes Team zu formen, in dem jeder seine Stärken in den Dienst der Mannschaft stellt. Einzelkönner bleiben nach wie vor wichtig, aber niemand kann es sich in der Defensive mehr leisten, in der Raumdeckung nicht geschlossen zu agieren. Spieler wie Olivier Giroud, Kevin De Bruyne oder Romelu Lukaku sind die Role Models für diese Philosophie.
Was man von dieser WM unbedingt mitnehmen muss: Standardsituationen (Eckbälle, Freistöße) waren die Waffe schlechthin, ein Anteil von mehr als 40 Prozent aller Tore ist gewaltig. Das ist auch ein Verdienst der Trainer, die irrsinnig viel dafür aufgewendet und akribisch daran gefeilt haben. Das ist auch eine
für kleinere Nationen, zum Erfolg zu kommen. Zudem hat sich der Eindruck noch mehr verstärkt, dass sich schnelles Umschalten im internationalen Fußball als entscheidender Faktor erweist. Auffällig war auch, dass Nationen wie Südkorea (Shin Tae-Yong/47), Kroatien (Zlatko Dalic/52), Senegal (Aliou Cisse/42) oder England (Gareth Southgate/47) begabten Trainern aus ihren Nachwuchsnationalmannschaften die Chance geboten haben, sich auf höchster Ebene zu beweisen.
Russland hat uns jedenfalls eine WM der Superlative geboten. Stadien und Transporte waren vorbildlich, die Überwindung der verschieMöglichkeit denen Zeitzonen wurde logistisch optimal gelöst. Sehr ambivalent sind meine Gefühle in Sachen Videobeweis: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass er als Weiterentwicklung hin zu einem gerechteren Spiel zu betrachten ist. Aber die Auslegung war nicht immer objektiv gleich, dieses elektronische Hilfsmittel muss konsequent durchgezogen werden, und nicht nur in drei, vier Situationen.
Die Wahl der besten Spieler durch die Studiengruppe des Fußball-Weltverbandes unter dem 75-jährigen ehemaligen brasilianischen Weltmeistertrainer Carlos Alberto Parreira (er holte 1994 den WMTitel) kann ich nur unterschreiben. Luka Modric war der beste Spieler des Turniers, Kylian Mbappe der neue junge Stern und Thibaut Courtois hat sich den Goldenen Handschuh verdient. Ohne seinen Lässigkeitsfehler im Finale hätte man vielleicht auch Frankreichs Schlussmann Hugo Lloris zum besten Torhüter des Turniers wählen können.