Ein vielfältiges Panoptikum an Farben und Formen
Malerischer Gestus, Farblust und eine ungebremste Vitalität: Veronika Dirnhofer in der Galerie 3.
Eine Ausstellung bei Lena Freimüller ist meist irgendwie „funky“. Also steht Unkonventionelles und Unerwartetes am Programm – auch mit Veronika Dirnhofer, ihres Zeichens Professorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien, welche die Malerei als autonome Kunstform im Geiste des abstrakten Expressionismus aufleben lässt. Die Jungen Wilden von ehedem und die Postmoderne lassen grüßen.
Auf großen Leinwänden entwickelt die Künstlerin in stilpluralistischer Unbekümmertheit ein Panoptikum von Farb- und Formdiversitäten. Darüber schichtet sie Collagen in unorthodoxer Bildsprache. Wie bei einem großen Abreißkalender, lassen sich die einzelnen bemalten Flächen aufblättern. Dekonstruktion, malerischer Gestus, Farblust, Mix und eine ungebremste Vitalität bestimmen eine Malerei, die für sich selbst steht. Der Pinselduktus, der Schwung mit dem Linien ausgeführt wurden, das starke Kolorit und die zeichnerischen Interventionen können als Ausdruck subjektiver Gestaltung und schöpferischer Kraft verstanden werden. Und alles erweckt den Eindruck einer unverwechselbaren, individuellen Schöpfung, die Emotionen und Gedanken in sichtbare Form bringt. So hebt es sich ab vom zunehmend Virtuellen der digitalisierten Kultur um uns und reklamiert für sich die Vorzüge des Analogen und Realen, wiewohl im Abstrakten. Bildtitel und ein Zitat von Ingeborg Bachmann als Referenzrahmen vertiefen diese Vorstellung.
Wie in den Bildern, so formuliert Dirnhofer auch in ihren Keramiken sehr direkt und handfest. Sie präsentiert diese auf Büchern, die als kleine Piedestale dienen, und gibt einen Hinweis auf die Verknüpfung von literarischer mit bildnerischer Denkarbeit und ihre Verortung in konkreten, materiellen Bedingungen.
Österreichs Regierung setzt auf Marketing in der Dauerschleife: Wie beurteilen Sie ihre Arbeit?
Die Marketing-Leistung ist großartig, anderes weniger. Unser Kanzler ist ein Riesentalent. Die Erfahrung aber sagt: Wer zu früh von Erfolg zu Erfolg eilt, könnte am Ende ein Defizit an Empathie und Mitmenschlichkeit mitschleppen. Das wäre schade.
Nach 25 Jahren im Journalismus wurden Sie Sprecher von Kurt Waldheim und haben so die „Waldheim-Affäre“miterlebt. Wie stehen Sie heute dazu?
Sicher hat Waldheim auch Fehler und Ungeschicktes gemacht
– wer hat das nicht? Und er war zu lange global unterwegs, um die mühselige Selbstfindung Österreichs mitzubekommen. Aber das, was man ihm angedichtet hat – Nazi, Kriegsverbrecher, Lügner … –, das war er nicht. Hier ist es um ein politisches Spiel gegangen, um den Partei-„Erbhof“Hofburg nicht zu verlieren. Für mich ist die „Causa“das verlogenste heimische Menschenrechtsproblem, das ich erlebt habe.
Im Herbst kommt Ruth Beckermanns Doku „Waldheims Walzer“ins Kino, der Österreichs Opferrolle entlarvend analysiert. Werden Sie ihn sich anschauen?
Natürlich – auch darüber öffentlich diskutieren. Ich schätze Frau Beckermann als Filmemacherin mit Gewissen. Aber ich teile manche ihrer Haltungen nicht, kann sie nicht teilen: Weil ich andere Erfahrungen habe und einen anderen Hintergrund. Auch wenn ich mit NSGeschichten aus der eigenen Familie nicht zurechtkomme.
Wo orten Sie in unserer Gesellschaft aktuell die größte besorgniserregende Problemzone?
Eine große Frage! Persönlich sehe ich im Glaubensverlust eine große Schwäche für das Europa im globalisierten Morgen.