Kleine Zeitung Kaernten

„Mandelamus­ste erst zu einem Gandhi reifen“

INTERVIEW. Der südafrikan­ische Nationalhe­ld war auch ein Held mit Makeln. Sein Biograf Stephan Bierling hält aber vor allem seinen Wandel für mustergült­ig.

- Interview: Ingo Hasewend

Im Vorfeld des heutigen 100. Geburtstag­es von Mandela hieß es, man könne für 256.000 Euro eine Nacht in seiner berühmten Gefängnisz­elle auf Robben Island verbringen. Auch wenn das für den guten Zweck gedacht war: Wird der Kult um den Nationalhe­lden nicht übertriebe­n?

STEPHAN BIERLING: Zu dieser Obszönität ist es nach Protesten der Nelson-Mandela-Stiftung Gott sei Dank nicht gekommen. Aber es ist durchaus so, dass viele aus dem Namen Mandela politische­s oder wirtschaft­liches Kapital zu schlagen versuchen. Das sieht man in der Politik, wo der ANC den todkranken Mandela 2012 und 2013 öffentlich zur Schau stellte, um ein besseres Wahlergebn­is zu bekommen. Auch im Privaten versuchen viele Familienan­gehörige auf fast schon widerliche Art, den Namen Mandela zu Seine zweite Frau Winnie zum Beispiel hat in den Neunzigerj­ahren Erde aus dem Garten ihres gemeinsame­n Hauses in Soweto als sogenannte „Heldenerde“in Fläschchen abgefüllt und an ausländisc­he Touristen verkauft. Mandela wegen seiner außergewöh­nlichen politische­n und moralische­n Bedeutung für Südafrika und die Welt zu vermarkten, treibt irre Blüten.

Sie beschreibe­n in Ihrer Biografie „Nelson Mandela“auch seine Schattense­iten. Ist dieser Nationalhe­ld kein makelloser Held? Natürlich ist kein Held völlig makellos. Für einen Wissenscha­ftler wie mich gibt es keine Wunder und keine Übermensch­en. Ich versuche, Mandela mit all seinen gigantisch­en Leistungen, aber auch mit seinen Schwächen zu zeichnen.

Sie schreiben, dass er als junger Mensch Sabotagen plante, den bewaffnete­n Kampf befürworte­te, der kommunisti­schen Partei angehörte. Das klingt eher nach Fidel Castro oder Robert Mugabe und weniger nach Gandhi. Warum hat er sich von dieser Vergangenh­eit nie distanzier­t? Mandela hat nach langen Jahren des gewaltfrei­en Widerstand­es von 1960 an – in den drei Jahren, in denen er noch in Freiheit war – auf einen militanten Kurs gesetzt. Er nahm Castros Revoluverm­arkten.

tion in Kuba 1959 zum Vorbild für seinen Kampf gegen die Apartheid. Mandela arbeitete mit militanten Gruppen zusammen, vor allem mit den Kommuniste­n in Südafrika. Und er warb um Geld- und Waffenhilf­e von Widerstand­sbewegunge­n aus ganz Afrika, von der Sowjetunio­n und von China. Mandela, der uns später als der Friedensbr­inger und Versöhner bekannt wurde, hat ganz anders begonnen. Von seiner gewaltbere­iten und kommunisti­schen Vergan-

hat er sich nie distanzier­t, weil ihm im Kampf gegen die Apartheid jedes Mittel und jeder Partner recht war. Dafür, glaubte er, müsse man sich nicht entschuldi­gen.

Aber dann kam sein Wandel ...

In der Tat. In seinen 27 Gefängnisj­ahren schaffte es Mandela, von einem gewaltbere­iten, etwas selbstverl­iebten Widerstand­skämpfer zu einem abgeklärte­n und humorvolle­n Führer zu werden. Meine Biografie,

das ist fast ihr spannendst­er Teil, dokumentie­rt diesen Reifeproze­ss Mandelas. Er wurde nicht als ein Gandhi geboren, hat sich aber zu einem entwickelt. Das ist die große Botschaft von Mandelas Leben, die mich wie so viele andere Menschen unheimlich fasziniert.

Was genau war der Anstoß für diesen Reifeproze­ss? Mandela wusste nicht, wann er freikommen würde. Er war zu lebensläng­licher Haft verurgenhe­it

teilt. In diesen langen Gefängnisj­ahren erkannte er, dass seine Strategie eines gewaltsame­n Umsturzes der Apartheid kläglich gescheiter­t war. Und wenn Mandela eines war, dann Pragmatike­r. Er gab sich dem Kampf der Apartheid absolut hin. Aber er überprüfte auch immer seine eigenen Rezepte, und wenn eines nicht erfolgreic­h war, verwarf er es.

Seinen Wandel dokumentie­rt auch das neueste Buch „Mandela. Briefe aus dem Gefängnis“. Seine Briefe, die wir jetzt erstmals publiziert haben und die ich für mein Buch zum Teil einsehen konnte, zeigen einen Mandela, der nicht so selbstherr­lich war wie der Mandela der Fünfzigerj­ahre. Er war auch nicht so disziplini­ert und stoisch, wie wir ihn oft aus anderen Biografien kennen. Dieser Mandela ist schon fast verzweifel­t am Schicksal seiner Frau, die von der Apartheid-Regierung malträtier­t, eingesperr­t und verbannt wurde. Seine Kinder wuchsen praktisch als Waisen auf. Mandela hatte ein patriund archalisch­es Verständni­s von Familie und Politik. Es belastete ihn sehr, dass er als Ehemann und wichtigste Figur seiner Großfamili­e im Gefängnis saß und sich nicht um sie kümmern konnte. Und dass er nach dem Tod seines Sohnes nach dessen Autounfall und dem Tod seiner Mutter nicht am Grab stehen konnte, weil ihm die ApartheidR­egierung nicht erlaubte, das Gefängnis zu verlassen, hat ihm persönlich sehr zugesetzt. Dazu gibt es herzzerrei­ßende Briefe an Winnie, die uns einen verletzlic­hen, manchmal fast verzweifel­ten Mandela zeigen.

Mandelas Traum war eine Regenbogen­nation ohne Unterschie­de. Wie weit hat sich dieser Traum bewahrheit­et? Er hat sich insofern bewahrheit­et, als Mandela einen Bürgerkrie­g, der vor der Tür stand, verhindern konnte. Diese Regenbogen-Utopie half ihm, den Weißen, Farbigen und Indern zu versichern, in diesem neuen Südafrika einen Platz zu haben. Aber nicht alle Hoffnungen haben sich erfüllt. Denn letztlich gehört zu einer Regenbogen­nation, dass alle die gleichen Chancen auf Bildung, Wohlstand und Partizipat­ion haben. Das ist bisher nicht eingetrete­n. Es ist aber nicht primär sein Versäumnis, sondern das seiner Nachfolger. Mbeki und Zuma haben das Land auf einen Kurs der Stagnation und Korruption geführt und das Vermächtni­s Mandelas schwer beschädigt.

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Nelson Mandela krönte sein Lebenswerk mit der Ausrichtun­g der ersten Fußball-WM in Afrika
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APA (3), UNIVERSITÄ­T REGENSBURG
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 ??  ?? Stephan Bierling.Nelson Mandela. C. H. Beck, 416 Seiten, 25,70 Euro.
Stephan Bierling.Nelson Mandela. C. H. Beck, 416 Seiten, 25,70 Euro.

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