Revanche für das 19. Jahrhundert
Am Finalsonntag bin ich wieder auferstanden aus meinem unterirdischen Russland, meinem Fernsehkellerloch und zum öffentlichen Schauen auf den Neuen Platz geradelt und habe schon von Weitem die wunderbaren kroatischen Schlager gehört, die so gut zu Calamari und Weinschaumpalatschinken an der istrischen Küste passen! Wem da das Herz nicht aufgeht!
Heißa, da war was los! Ein rot-weiß kariertes Menschenmeer! Wie 2008! Das konnten nicht alles Urlauber sein! Das waren: wir! Und wenn ich „wir“schreibe, dann weiß ich, was für ein wundersames Wort das ist – es besteht aus vielen Ich’s und Du’s und Er’s und Sie’s, jeder anders und alle gleich, alle gemeinsam jeder gegen jeden.
Dagegen habe ich so gut wie keinen Franzosen (Menschen in blauen Trikots) gesehen. Nur zwei Eingeborene musste ich auf den ersten Blick am Neuen Platz doch ausmachen, die Frau Bürgermeister und mich. Wir spielten aber für das größere Ganze keine Rolle.
Seit 1990, seit Kameruns „unbezwingbare Löwen“rund um den legendären Roger Albert Milla bei der Weltmeisterschaft in Italien für Furore sorgten, träume ich insgeheim, es möge doch einmal ein afrikanisches Land Fußball-Weltmeister werden. Revanche für das 19. Jahrhundert! Ich habe nur nicht zu träumen gewagt, dass das Frankreich sein würde. Auf Facebook war dann auch die ethnologische Frage manifester als Schiedsrichter(fehl)entscheidungen, und neben undifferenzierten gab es auch differenzierte Antworten: Denn nicht nur Frankreich, sondern auch Belgien und Deutschland und England und die Schweiz und wir ... – wir alle!!! (Na gut, WIR waren ja gar nicht qualifiziert …)
Egal. Die goldene Regel lautet: Es spielt keine Rolle, woher einer kommt, Hauptsache, dass er woher kommt, denn das bedeutet Bewegung, und Bewegung ist alles im Wettkampf-Sport. (Das ist der letzte Trend: Immer schneller werden! Nur wenn der Coach einen auswechselt: Langsamer werden! Einfrieren!) Damit aber für vier Jahre wieder Schluss mit den Aufwallungen des internationalen Nationalismus! Ab sofort geht es wieder ausschließlich um das eine: ums Geld.
Es spielt keine Rolle, woher einer kommt, Hauptsache,dasserwoher kommt, denn das bedeutet Bewegung, und Bewegung ist alles ...