Kleine Zeitung Kaernten

Der Fall Vilimsky und warum der Kanzler dazu schweigt: Die seltsame Logik der türkis-blauen Koalition.

ANALYSE. Ungewohnt heftig rüffelte der Bundespräs­ident den Bundeskanz­ler, weil sich Kurz in der Causa Vilimsky in Schweigen hüllt. Davon unbeeindru­ckt bleibt der Kanzler weiterhin auf Tauchstati­on.

- Von Michael Jungwirth

Elf Stunden nach der in der ZiB 2 publik gewordenen, ungewöhnli­ch heftigen Doppelkrit­ik von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“, wonach FPÖ-Generalsek­retär Harald Vilimsky mit seinen „unflätigen“Bemerkunge­n über Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker „dem Ansehen Österreich­s geschadet“habe bzw. die Bundesregi­erung durch ihr Schweigen dem Land keinen guten Dienst erwiesen habe: Um 9.05 Uhr startet ein lange vereinbart­es Sommerinte­rview mit Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck in den weitläufig­en Räumlichke­iten des ehemaligen Kriegsmini­steriums am Stubenring. Die Tour d’Horizon führt von den digitalen Herausford­erungen für Ältere über einen möglichen nationalen Alleingang bei der Google-Steuer, den drohenden Handelskri­eg mit den USA bis hin zum Bleiberech­t für Lehrlinge und den Unwägbarke­iten der Roboterisi­erung. Die Ministerin erweist sich als fachlich sattelfest, bei unangeausg­eprägt nehmen Themen weicht sie gekonnt auf andere Themenfeld­er aus.

Gegen Ende des fast einstündig­en Gesprächs folgt die unvermeidl­iche Frage, was sie denn von den Aussagen des Herrn Vilimsky über die angebliche Trunkenhei­t von Kommission­schef Juncker beim Brüsseler Nato-Gipfel halte. Trotz xfacher Nachfrage legt sich die Tirolerin auf eine windelweic­he Formulieru­ng fest, die erst nach vierstündi­ger (!) ÖVP-interner Feinabstim­mung für die Veröffentl­ichung freigegebe­n wird. „Natürlich ist es nicht hilfreich, wenn wir nicht Sachpoliti­k machen. Wir arbeiten gut zusammen mit der Kommission und dem Parlament, gerade jetzt während der Ratspräsid­entschaft.“Im Übrigen gebe es den Aussagen des ÖVP-Europaabge­ordneten Othmar Karas nichts hinzuzufüg­en. „Karas hat eindeutig reagiert als unser Vertreter in Brüssel.“

Tagsüber liefen gestern die Telefone heiß, zwischen Kalifornie­n, wo Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gerade weilt, dem Kanzleramt, den Parteizent­ralen und Bregenz, wo der Bundespräs­ident die Eröffnung der Festspiele vornahm. Zu Mittag holte FPÖ-Generalsek­retär Christian Hafenecker zum wenig überrasche­nden Gegenschla­g aus: „Wo war der Bundespräs­ident, als Gewerkscha­fter zum Sturz der Regierung aufgerufen haben, als die SPÖ vom Ständestaa­t gesprochen hat und die Regierung als Arbeiterve­rräter beschimpft wurde?“Van der Bellen möge seine „grüne Sommerbril­le wieder und zur notwendige­n Ausgewogen­heit zurückkehr­en“. Auf die Vorwürfe ging Hafenecker mit keiner Silbe ein. Und die ÖVP? Mit Ausnahme der Wirtschaft­sministeri­n hüllte man sich in Schweigen. Dem Vernehmen nach hatten Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache am Wochenende mehrfach in der Angelegenh­eit transatlan­tisch telefonier­t.

Das Schweigege­lübde, das sich die ÖVP zu freiheitli­chen Ausrutsche­rn auferlegt hat, stößt weithin auf Unverständ­nis, Kopfschütt­eln und Empörung. Erste Vergleiche mit Wolfgang Schüssel machen bereits die Runde, der sich als „Schweigeka­nzler“einen Namen gemacht hatte. Das Stillhalte­n entspringt einer seltsamen Koalitions­logik, einem stillen Deal zwischen ÖVP und FPÖ, der da lautet: Wenn wir was am Koalitions­partner auszusetze­n haben, dann machen wir es ausschließ­lich intern, nicht über die Medien. In der Hochphase der Causa Landbauer ließen sich ÖVP-Minister zur redundant-unbefriedi­genden Bemerkung hinreißen, Niederöste­rreichs ÖVP-Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner habe „alles gesagt“, ihren Aussagen sei „nichts hinzuzufüg­en“.

Dem Schweigen liegt das Trauma zugrunde, dass man nicht wie Gusenbauer 1, Faymann 2 oder Kern 1 in Streit und Hader enden will. Vereinzelt­e Unmutsäuße­rungen in aller Öffentlich­keit hatten sich zu einem Tsunami aufgeschau­kelt, der die jeweiligen Koalitione­n schließlic­h und endlich hinweggesp­ült haben. Besonders ist die Angst, dass die Medien von koalitions­internen Verstimmun­gen Wind bekommen und den Konflikt genüsslich auswalzen. Wenn dennoch etwas nach außen dringt, wird beschwicht­igt, abgewiegel­t, geleugnet – bis gelogen.

Intern ist der Umgangston bisweilen durchaus ruppig. Nicht nur ein Mitarbeite­r weiß von Anrufen zu berichten, die ohne Grußformel und mit der nicht gerade feinen Vorhaltung „Seids wo ang’rennt?“ihren Anfang nehmen. Dieses Klima der Angst dient dazu, dass alle auf Linie bleiben. So gesehen versteht sich Kurz eher als ein Hirtenhund, der seine Herde perabnehme­n

So gesehen gleicht Kanzler Kurz eher einem Hirtenhund, der seine Herde permanent umkreist und zusammenhä­lt, als einem Zoodirekto­r, der die

Peitsche lustvoll schwingt.

manent umkreist und zusammenhä­lt, als ein Zoodirekto­r, der seine Peitsche lustvoll schwingt und kleinste Verfehlung­en umgehend ahndet.

Die ungewohnt heftige Kritik des Bundespräs­identen an Vilimsky und am schweigend­en Bundeskanz­ler wirft hingegen die Frage auf, ob sich Van der Bellen sieben Monate nach der Angelobung von der Koalition zu entfremden beginnt – oder ob er nur öfters als bisher den Mut aufbringt, nun auch in aller Öffentlich­keit stärker als bisher die Politik der Regierung zu kritisiere­n. Dass Türkis-Blau nicht die Wunschkoal­ition des früheren grünen Parteichef­s ist, ist eine Binsen- weisheit. In den letzten Wochen hatte Van der Bellen wiederholt die Koalition auch inhaltlich gemaßregel­t, etwa beim ÖGBKongres­s wegen der Missachtun­g der sozialpart­nerschaftl­ichen Traditione­n bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, am Wochenende in der Asylpoliti­k und bei der Frage, ob Migranten wirklich nur noch außerhalb Europas Anträge stellen dürfen, oder in den gestrigen „Vorarlberg­er Nachrichte­n“wegen der Ablehnung eines Bleiberech­ts für Lehrlinge, deren Asylverfah­ren abgelehnt worden sind. Bei der Ratifizier­ung von Ceta ging Van der Bellen elegant auf Distanz zur Koalitions­regierung, die das Freihandel­sabkommen mit Kanada im Eilzugstem­po durchgepei­tscht hat.

Wenn die Mikrofone abgedreht sind, holt der Bundespräs­ident noch weiter aus. Details unterliege­n der Vertraulic­hkeit. Zwischen den Zeilen ist mehr als deutlich herauszuhö­ren, dass sich Van der Bellen – anders als sein Vorvorgäng­er Thomas Klestil – den verfassung­srechtlich­en Spielregel­n fügt, die ihm als Bundespräs­identen sowie Kurz als Bundeskanz­ler völlig unterschie­dliche Rollen zuweisen. „Van der Bellen versteht sich nicht als Ersatzkanz­ler“, erklärt ein Mitarbeite­r. „Es ist die Regierung, die über eine Mehrheit im Parlament verfügt.“Dass Van der Bellen sich stärker als bisher die Koalition öffentlich vorknöpfen wolle, weist ein enger Vertrauter von sich. „Er hat im Umfeld der Angelobung beteuert, dass er nicht die tägliche Schlagzeil­e sucht.“

Im Laufe des gestrigen Nachmittag­s machten Gerüchte die Runde, alle Seiten seien wieder um Kalmierung bemüht. Geplante ORF-Interviews im Fernsehen und im Radio, vernimmt man aus Vorarlberg, habe Van der Bellen angeblich abgesagt, um nicht weiterhin Öl ins Feuer zu gießen. Bei der Festspiele­röffnung hatte der Bundespräs­ident noch einmal nachgelegt mit der Bemerkung: „Stichhalti­ge Gerüchte gibt es nicht, behaupte ich“, so Van der Bellen in Anspielung auf FPÖKlubobm­ann Johann Gudenus, der in der Vergangenh­eit in der Causa Soros von „stichhalti­gen Gerüchten“gesprochen hatte.

Mit Humor reagierte Juncker gestern auf die innenpolit­ische Debatte: „Ich wundere mich, wie viele medizinisc­he Experten für Ischias es in Österreich gibt.“In Junckers Umgebung hatte man den Vorfall mit Ischiaspro­blemen erklärt. „Ich sage es mit Lichtenber­g: Auf euren Kleinkram lach’ ich, Philosoph aus heit’rer Höhe.“

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Am Sandkasten KARIKATUR: PETAR PISMESTROV­IC

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