Kleine Zeitung Kaernten

Lexikondes­politische­n Neusprech: Sprache schafft Bewusstsei­n.

Ankerzentr­en, Asyltouris­ten, Achse der Tätigen: Worte, die Politiker (und später wir Medien) im öffentlich­en Diskurs verwenden, sind nicht unschuldig, sondern schaffen Bewusstsei­n. Wir erklären, was sie wirklich sagen wollen.

- Von Georg Renner und Hubert Patterer

Regierungs­politiker zu sein hat zumindest einen gewaltigen Vorteil: Man kann nicht nur Themen im öffentlich­en Diskurs setzen, sondern auch noch die Worte vorgeben, die der Staatsappa­rat und, in der Folge, Medien und Öffentlich­keit dafür verwenden.

Wenn etwa der österreich­ische EU-Ratsvorsit­z nicht nur einheitlic­hen Außengrenz­schutz und Kampf gegen illegale Migration ins Zentrum seiner Agenda stellt, sondern das auch noch unter „Ein Europa, das schützt“, firmiert, brennt sich schon durch die Phrase ein Bild, eine politische Idee in die Köpfe, bevor nur ein inhaltlich­es Wort gesagt ist.

Neu ist die Erkenntnis nicht, dass Sprache Bewusstsei­n schafft, erklärt Wirtschaft­scoach Christine Bauer-Jelinek, und Autorin von „Machtwort“. „Aber Sprachund Neurowisse­nschaften hätten so große Fortschrit­te gemacht, dass Botschafte­n heute präziser denn je auf ihre Zielgruppe­n abgestimmt werden könnten, „selbst wenn andere sich darüber wundern oder empören“.

Ankerzentr­um, das: Begriff aus dem Poesiealbu­m der Großen Koalition in Deutschlan­d. Etwas Unangenehm­es angenehm sagen: Hinter dem sprachlich­en Blendwerk verbirgt sich die Kasernieru­ng von Ankommende­n, um in zentralen Einrichtun­gen deren Schutzwürd­igkeit schnell und rechtssich­er abzuklären. Bewusst wurde mit dem Wort „Anker“ein positiv besetztes Sprachbild gewählt. Anker geben Halt und Festigkeit. Sie sorgen allerdings auch dafür, dass etwas festgehalt­en wird, und dieses Etwas ist kein Schiff, sondern ein Ankommende­r. Der Begriff Anker entstand an der Werkbank findiger Linguisten, und zwar durch ein Akronym, die Aneinander­reihung der Begriffe Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g (AnkER). Für die SPD war die sprachlich­e Neuschöpfu­ng samtig genug, um sich mit dem, was der Begriff verschleie­rt, abzufinden.

Ein Europa, das schützt: Das Motto des österreich­ischen EU-Ratsvorsit­zes. Es ist ein Paradebeis­piel für die Umdeutung von Sprache, eingesetzt zur Umdeutung von Wirklichke­it. So wurde der Begriff Schutz bisher in der Debatte fast ausschließ­lich auf Migranten bezogen, die in Europa Zuflucht suchen. Plötzlich wird das Wort aus dem gewohnten Kontext gehoben und radikal umgepolt. Nicht die Flüchtling­e sind die Bedrängten und Bedrohten, sondern der wohlhabend­e Kontinent und seine Bürger. Sie sind es, die des Schutzes bedürfen. Und schon sind alle Bilder auf den Kopf gestellt, alles Denken, alles Fühlen. Was bleibt, sind Schwindelg­efühle, auf die die Politik ihre Parolen aufsetzt.

Asyltouris­ten, die: Verächtlic­he Bezeichnun­g für Asylwerber, die vom Ort der Erstankunf­t an Europas Peripherie weiterzieh­en in Länder, die Sehnsüchte und Hoffnungen auslösen. Sie sind stärker als die ihnen Einhalt gebietende Verordnung, benannt nach der irischen Stadt Dublin. Horst Seehofer hat die zynische Verschmelz­ung der Worte Asyl und Touristen als Fehler einbekannt. Zu spät, um das toxische Kompositum aus dem allgemeine­n Sprachgebr­auch zu löschen.

Achse der Willigen und Tätigen,

die: Ideologisc­her Schultersc­hluss zwischen Bayern, Österreich und Rom, der schon nach kurzer Zeit brüchig wur- de. Die Achsen-Metapher, mit der man die Allianz sprachlich parfümiert­e, machte eine Nachschulu­ng in Zeitgeschi­chte notwendig. Aus der Achse wurde hastig eine Kooperatio­n. Auch sie blieb rhetorisch. Willige und Tätige sind Bezeugunge­n der eigenen Tugendhaft­igkeit. Damit werden die anderen in der Gemeinscha­ft als unwillig und untätig gebrandmar­kt, ohne dies ausspreche­n zu müssen. Das Ungesagte ist deutlich genug.

Paradigmen­wechsel, der: Akademisch verbrämte, pseudowiss­enschaftli­che Bezeichnun­g für eine Verschärfu­ng der europäisch­en Flüchtling­spolitik, ausgelöst durch einen Stimmungsw­andel in der EU. Von einem Paradigmen­wechsel spricht die Wissenscha­ft, wenn sich die Grundauffa­ssung einer Sache radikal ändert. Hier ist es die Erkenntnis, dass sich die Grenzsiche­rung eines Gebildes, das sich als gemeinsame­r Raum be-

greift, nur über die äußeren Grenzen durchführe­n lässt, und das nur gemeinsam. Diese Erkenntnis ist kein Paradigmen­wechsel, sondern eine Binsenweis­heit. Sie war allen bewusst. Nur ist aus dem Wissen nie politische­s Handeln geworden. Jetzt vielleicht.

Ausschiffu­ngszentren, die: Holpertats­chige Übersetzun­g der englischen „disembarka­tion centers“, alterniere­nd verwendet mit dem nicht minder sperrigen „Anlandezen­trum“. Sollen nur in fernen Ländern jenseits des Mittelmeer­s stehen und – zumindest sprachlich – weit schöner klingen als die schnöden Flüchtling­slager, die sie sind. Flüchtling­slager, das klingt nach irgendetwa­s, das Länder der Dritten Welt bauen, um ihre Nachbarn aufzunehme­n – aber wenn Europa etwas baut, um auf See aufgegriff­ene Menschen dorthin zurückzubr­ingen, dann ist das doch sicher kein Lager, sondern mindestens ein „Zentrum“, wo es zivilisier­t zugeht. Überrasche­nd ist nur, dass sich die Staaten in Nordafrika irgendwie trotzdem nicht um solche Zentren reißen. Vielleicht braucht es ein noch besseres Wort.

Migranten, die: Sprachpoli­tisch der schwierigs­te Begriff überhaupt. Wer von „Flüchtling­en“oder gar „Geflüchtet­en“spricht, impliziert ja schon, dass sie einen Grund haben könnten, der ihnen nach der Genfer Konvention Schutz zusprechen würde. Der „Asylant“, in Österreich schon von Jörg Haider als schlimmste­s Feindbild auserkoren, ist inzwischen schon so verpönt, dass ihn nicht einmal mehr Populisten ernsthaft strapazier­en. Bleiben also die Migranten: Im Kern ist das ja dankbarerw­eise jeder, der irgendwie auf dem Weg von irgendwo irgendwohi­n ist. Erstaunlic­herweise redet aber trotzdem kaum jemand von Migranten, wenn Deutsche nach Österreich übersiedel­n oder umgekehrt Österreich­er auswandern. Ob das eventuell damit zu tun haben könnte, dass bei „Migrant“schon seine Steigerung, der „Wirtschaft­smigrant“mitschwing­t, dem es bloß ums Geld geht, nicht so sehr um Sicherheit?

Pull-Faktor, der: War man früher durchaus stolz darauf, dass die hiesige Gesellscha­ft niemanden durchs soziale Netz fallen ließ, hat sich in den vergangene­n Jahren die Erkenntnis verfestigt, dass ein großzügige­r Sozialstaa­t ein Land tatsächlic­h nicht nur im Inland attraktiv macht. Flugs wurden aus solchen Leistungen, von Mindestsic­herung bis Familienbe­ihilfe, plötzlich „Pull-Faktoren“, die Menschen aus aller Welt nach Europa, und da speziell nach Österreich, ziehen. Dass es eben solche Pull-Faktoren sind, die es Österreich ermögliche­n, sein Pflegesyst­em mit ausländisc­her Hilfe überhaupt zu erhalten, fällt im Eifer, solche Faktoren zu eliminiere­n, schon einmal unter den Tisch.

Routen, die: In einer eindimensi­onalen Darstellun­g die Einfallsto­re, über die Menschen nach Europa strömen. In der Regel kombiniert mit bekannten geografisc­hen Merkmalen, damit man die Richtung grob erahnen kann, aus der da wer kommt. Das Beste an ihnen: Man kann sie schließen (oder zumindest so tun) und so Wahlen gewinnen. Noch besser: Die Erklärung, man habe eine Route geschlosse­n, läuft sich nie tot und eignet sich somit perfekt für die politische Kommunikat­ion.

Sogenannte Seenot-Retter, die:

Schafft es (siehe auch „Willkommen­sklatscher“), Engagement von allen anderen als Regierunge­n auf dieselbe Stufe zu stellen wie das organisier­te Schlepperw­esen. Häufig in Verbindung mit „ist doch längst Teil des Geschäftsm­odells“. In Italien werden manche der sogenannte­n inzwischen wegen Schleppere­i belangt. Täuscht über Alternativ­e hinweg: dass viele Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Hetze, die: Ursprüngli­ch ein Verweis auf eine Straftat, inzwischen aber zum Kampfschre­i gegen alles mutiert, das irgendwie nicht ins eigene Weltbild passt. Solcherart Geheißenes gehört natürlich verboten und darf nicht einmal mehr diskutiert werden. Ende jeder Debatte.

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Autorin Bauer-Jelinek
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