Vorbereitung auf den Sturz in den Abgrund
Heute findet der erste EU-Rat zum Brexit unter österreichischer Führung statt. Es geht um Irland – und um das No-DealSzenario.
Gleich hinein ins kalte Wasser: Wenn Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) heute in Brüssel zum ersten Mal als Vertreter des österreichischen Ratsvorsitzes den Brexit-Rat leitet, stehen zentrale Punkte auf der Agenda.
Zum einen beschäftigt sich der Rat mit dem „Weißbuch“von Theresa May zu den Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Ausstieg der Briten. Wie es in Brüssel heißt, sei man dankbar dafür, endlich eine konkrete Unterlage auf dem Tisch zu haben, allerdings bedürfe es noch zahlreicher Klarstellungen darüber, wie sich die Briten das genau vorstellen – und natürlich, ob die EU damit auch leben kann. Bei einer ganzen Reihe von Vorschlägen, etwa was neue Zollregeln betrifft, eher nicht.
Hauptthema dürfte aber die drängende Frage nach einer Lösung für Irland sein. EU-Chefverhandler Michel Barnier, der gestern Nachmittag nach dem Rücktritt von David Davies erstmals den neuen britischen Brexit-Minister Dominic Raab traf (mit der knappen Begrüßung: „Willkommen! Wir haben viel Arbeit“), drängt auf eine Lösung für die Grenze zwischen Irland und Nord- irland, die keine „harten“Kontrollen vorsieht. Auch die Zeit drängt, denn eigentlich sollten alle Fragen bis zum Gipfel im Oktober unter Dach und Fach sein.
Doch ob das klappt, ist fraglich. Und so räumte die EUKommission gestern auch ein, dass es parallel zur Arbeitsgruppe Brexit auch ein eigenes Team gibt, das sich mit einem No-DealSzenario beschäftigt. Denn enorm viel hängt davon ab, was am 30. März 2019 tatsächlich passiert: Handel, Flugverkehr, Reisende, Zugverbindungen – alles könnte Punkt Mitternacht zum Stillstand kommen, wenn sich die Verhandlungen verzögern und es keine Vorbereitungen dafür gibt. Als sicher gilt auch das Kappen des Datenaustausches, zum Beispiel bei Bereichen wie Nahrungsmittel, Gesundheit oder Verkehr.
Die EU-Kommission legte dazu gestern ein Papier vor, in dem alle Akteure (auch private Unternehmen) aufgefordert werden, die Schlagzahl zu erhöhen. Kommt es zu einer Einigung, gilt ja die Übergangsfrist bis 1. Jänner 2021. Schafft man die Einigung nicht – was in dem Papier auch als „Sturz in den Abgrund“bezeichnet wird – dann tritt das EU-Recht schlagartig schon am 30. März 2019 außer Kraft.
Dabei gibt es noch eine weitere offene Flanke: Niemand will sich derzeit wirklich ausmalen, was passiert, wenn es im Vereinigten Königreich zu Neuwahlen kommt. So oder so, Großbritannien gilt ab kommendem Frühjahr als „Drittland“. Gernot Blümel und Michel Barnier wollen heute Nachmittag gemeinsam vor die Presse treten.
Theresa May versucht indessen, zumindest in Irland gute Stimmung zu machen. Gestern Abend reiste sie nach Nordirland, wo sie auch heute noch mit Wirtschaftsvertretern über die möglichen Perspektiven sprechen will. Auch May sagte, die britische Regierung bereite sich inzwischen darauf vor, dass es kein Abkommen geben könnte.