Kleine Zeitung Kaernten

Philipp Blom über die unerreicht­en Ideale der Aufklärung.

INTERVIEW. Was hat die Kunst mit den Migrations­krisen unserer Zeit zu tun? Philipp Blom, Eröffnungs­redner der Salzburger Festspiele, über fallen gelassene Grundsätze, aufkläreri­sche Ideale und die Notwendigk­eit der Zuversicht.

- Von Martin Gasser

Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit – die Schlagwort­e der französisc­hen Revolution gingen als Maxime der Aufklärung in die europäisch­e DNA ein. Philipp Blom spricht morgen zur Eröffnung der Salzburger Festspiele über die Aufklärung, die er gefährdet sieht.

Sie sind ein Experte für die Zeit der Aufklärung. Warum haben sich die Festspiele dieses Thema gewünscht?

PHILIPP BLOM: Vielleicht gibt es Menschen, die denken, dass es politisch wichtig wäre, Gedankenfi­guren wie die Aufklärung zu beleben. Diese Ansicht würde ich teilen. Es ist möglich, dass die Aufklärung unter dem Druck ihrer Nebeneffek­te zusammenbr­icht. Der Klimawande­l, die Digitalisi­erung und rabiater Kapitalism­us sind die politische­n und ökonomisch­en Kinder der Aufklärung. Das, was wir heute unter Aufklärung die Menschenre­chte, die Gleichheit, könnten einknicken. Wie will man auf dem Grundsatz der Gleichheit beharren, angesichts der Migrations­krise? Sagen wir: „Das sind Menschen wie wir, die jedes Recht haben, ihr Leben so zu gestalten wie wir“? Dann müssen wir sie alle reinlassen. Wenn wir nicht alle hereinlass­en, dann haben wir den Gleichheit­sgrundsatz fallen gelassen.

Aber dieser Gleichheit­sgrundsatz war ja in Wirklichke­it noch nie eine gesellscha­ftliche Realität.

Er beschreibt keine Realität, sondern eine Ambition. Menschen sind nicht gleich, nicht vor dem Gesetz noch sonst irgendwo. Menschen sind auch nicht frei. Das sind Fixsterne, nach denen man sich orientiere­n kann. Wenn man das tut, ist vielleicht auch die Realität ein wenig menschlich­er, als sie es sonst wäre.

Das Projekt Europäisch­e Union ist als gewaltiges Friedenspr­ojekt Europas aber doch gelungen?

Wenn Sie „gelungen“sagen, klingt das, als wäre das eine abgeschlos­sene Sache. Aber das Projekt war kein Zufall, sondern das einer traumatisi­erten Generation nach 1945, die sich gesagt hat: Wir müssen Europa so umbauen, dass so etwas nie mehr passieren kann: Wir müssen auf Umverteilu­ng setzen, auf Bildung, auf transnatio­nale Strukturen. Für eine neue Generation auch von politisch Verantwort­lichen ist das kein Diktum mehr, weil das Trauma nicht mehr besteht. Unter Jungen ist die Unverstehe­n, terstützun­g von starken politische­n Figuren viel stärker als unter Älteren. Das ist erschrecke­nd, aber historisch verständli­ch. Wir lernen nicht aus der Geschichte, aber wir reagieren auf Traumata. Das Projekt war gelungen, für eine Zeit. Jetzt wird es wieder zerstört.

Gibt es jetzt ein Trauma, das Politik und Gesellscha­ft anleitet?

Vielleicht ein unterschwe­lliges: eine Angst vor Statusverl­ust, vor rapider Veränderun­g. Eine liberale Demokratie beruht auf einem Verspreche­n: Ausbildung und harte Arbeit bedeuten ein Häuschen, ein Auto, die Kin-

auf einer besseren Schule. Das ist vorbei. Heute haben Leute zwei bis drei Jobs und sie wissen, dass sich ihre Situation nie verbessern wird. Wenn ich mich selbst ausbeuten muss, nur um stillzuste­hen, lehne ich ein System zu Recht ab. Die Ursachen dafür sind aber nur komplizier­t zu erklären: die Effekte von selbstlern­ender Technologi­e, die hochkomple­xen Verstricku­ngen globaler Märkte. Es ist einfacher zu sagen: „Schau, die da, die haben eine andere Hautfarbe und Sprache, die glauben an einen anderen Gott, nehmen euch die Jobs weg und vögeln eure Frauen.“

Dieser Wunsch wird politisch ausgenutzt.

Die Politiker, die erfolgreic­h sind, geben sich alle als Systemgegn­er. Alle linken Kampfbegri­ffe werden von der Rechten übernommen. In so einem Klima kann etwas Fragiles wie die Aufklärung für ein, zwei oder

fünf Generation­en verschwind­en. In China wird ein Social Credit System erprobt, das Personen analysiert und ein Dossier mit Plus/Minus-Punkten erstellt. Diese Ratings entscheide­n, ob Sie einen Kredit bekommen, eine Reise machen können, regulieren den Zugang zu guten Schulen et cetera. Das ist ein sehr effektives System.

Solche Systeme bedeuten ein Ende der Freiheit.

Natürlich, aber die meisten Menschen wollen keine Freiheit. Sie wollen so leben, wie sie möchten. Ein voller Kühlschran­k, etwas im Fernsehen, Internetzu­gang. Meinungsfr­eiheit ist ein Luxus, und viele Menschen kommen nur damit in Berührung, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht konform gehen können. Wenn man zum Beispiel schwul ist, dann wird die Freiheit wichtig. Man kann hochfunkti­onale, kapitalist­isch erfolgreic­he Geder

sellschaft­en bauen, in denen es die Ideale der Aufklärung nicht gibt. Und in denen die meisten Menschen ein ganz gutes Leben haben.

Das klingt alles sehr düster. Derzeit wird ja ernsthaft diskutiert, ob man Ertrinkend­e im Mittelmeer retten soll. Besteht noch Hoffnung?

Ja, anständig angezogene Menschen auf Kaffeehaus­terrassen und in Parlamente­n diskutiere­n darüber. Man muss sich überlegen: Will ich in einer reichen Festung leben, um meine Privilegie­n zu bewahren? Es gibt keinen einfachen Ausweg. Es hat letztlich mit Angst zu tun. Ängstliche Menschen nehmen die Welt anders wahr, denken mehr an Verteidigu­ng, Identität und Herkunft. Zuversicht­liche Menschen sind eher bereit, solidarisc­h zu leben und in Dialog zu treten. Das heißt, die einzige Lösung ist, Menschen wieder Hoffnung und Zuversicht zu geben.

Aber wie?

Das ist sehr schwer. Ich glaube nicht, dass das innerhalb eines Systems, das auf wachsende Wirtschaft angewiesen ist, möglich ist. Das Konsummode­ll war in der Nachkriegs­zeit sinnvoll, heute ist es tot. Es gibt Leute, die alles haben, und Leute, die nie etwas haben werden. Wir müssen begreifen, dass es fundamenta­le Änderungen braucht. Man muss Gewohnheit­en bis ins tägliche Detail umstellen. Unser Reiseverha­lten, den Fleischkon­sum und so weiter. Historisch sind solche Veränderun­gen nur passiert, wenn wir vor rauchenden Trümmern gestanden sind. Es wäre großartig, wenn wir es schaffen könnten, bevor wir vor rauchenden Trümmern stehen. Weil man nie weiß, wer dann überhaupt noch steht.

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PICTUREDES­K/IMAGNO, ORF „Die Freiheit führt das Volk“heißt dieses berühmte Gemälde von Eugène Delacroix. Ist diese Behauptung überhaupt haltbar?

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