Mit Fundamental-Position gegen Gentechnik verpasst die EU eine Chance
Mit latenter Wissenschaftsfeindlichkeit, wie in der Entscheidung, „Crispr“alten Auflagen zu unterwerfen, bringt sich Europa – und besonders Österreich – um gewaltige Chancen.
Man kann schon viel daran ablesen, wer wie auf den Spruch des Europäischen Gerichtshofes reagiert hat. Dieser hatte am Mittwoch verkündet, dass die Präzisionsbiotechnologie Crispr/ Cas9 im EU-Recht unter die strengen Auflagen für Gentechnik fällt. „Ministerin begrüßt Urteil“hieß eine Meldung, die kurz nach der Verkündung ausgeschickt wurde – „Wissenschafter: Urteil nicht nachvollziehbar“eine andere.
Es ist ein altbekanntes Muster in Österreich – gemeinsam mit Deutschland einer der Staaten, in denen Gentechnik verrufen ist wie kaum anderswo, aus Gründen, die kaum jemand bereit ist, auch nur zu diskutieren. Wo Supermarktketten schon aus purem Selbstschutz ungefragt versichern, natürlich nur „gentechnikfreie“Lebensmittel im Angebot zu haben, und sich Politiker in ihren Bemühungen überbieten, selbst den Anbau der wenigen in der EU zugelassenen modifizierten Pflanzensorten ja nicht über die Grenzen kommen zu lassen.
Neben der anderen Überangst der österreichischen Volksseele, jener vor der Atom- kraft – geprägt von der Urkatastrophe Tschernobyl – gibt es kein größeres Tabu als alles, was nur im Ansatz den Verdacht erweckt, mit „dem Gen“zu tun zu haben.
Die sachlichen Widersprüche dieser Haltung sind dieselben, die auch in dem EuGH-Urteil zum Ausdruck kommen: Was schon bisher unter die strengen EU-Auflagen fiel, war die Transgenese, also Gene einer Pflanze in eine andere einzusetzen. Auf dem Prüfstand stand nun eine Methode der Mutagenese, also pflanzeneigenes Erbgut gezielt zu bearbeiten und auszutauschen. Das Schlüsselwort für den EuGH ist hier „gezielt“, denn schon bisher eingesetzte Methoden, etwa Pflanzen mit radioaktiven Strahlen oder erbgutverändernden Chemikalien zu bombardieren, um Genmutationen zu erzwingen, bleiben von den Regeln ausgenommen. Das hat beinahe schon etwas Re- ligiöses: Dort, wo der Mensch mit wissenschaftlicher Methode gezielt arbeitet, schiebt das Recht den Riegel vor. Dort, wo der Zufall Würfel wirft, greift dagegen niemand ein.
Europa – und besonders Österreich, das den Spielraum, Anbau, Import und Handel mit gentechnisch verbesserten Pflanzen zu verbieten, bis zum Äußersten ausnutzt – bringt sich mit seiner fundamentalistischen Position um gewaltige Chancen: Crispr etwa wäre einfacher und billiger gewesen als klassische Gentechnik und hätte Saatgutherstellern eine Chance gegeben, mit Multis wie Monsanto zu konkurrieren, wäre es von den umfangreichen Auflagen ausgenommen geblieben. Nein, auch aus der wissenschaftlichen Sicht von zig Metastudien spricht vieles für eine offenere Haltung gegenüber der neuen Technologie: Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen brauchen weit weniger Herbizide und Insektizide, erlauben mehr auf weniger Platz zu produzieren, und das nützt am Ende allen. Wenn da nicht die irrationale Angst vor dem Gen wäre.