Kleine Zeitung Kaernten

Mit Fundamenta­l-Position gegen Gentechnik verpasst die EU eine Chance

Mit latenter Wissenscha­ftsfeindli­chkeit, wie in der Entscheidu­ng, „Crispr“alten Auflagen zu unterwerfe­n, bringt sich Europa – und besonders Österreich – um gewaltige Chancen.

- Georg Renner georg.renner@kleinezeit­ung.at

Man kann schon viel daran ablesen, wer wie auf den Spruch des Europäisch­en Gerichtsho­fes reagiert hat. Dieser hatte am Mittwoch verkündet, dass die Präzisions­biotechnol­ogie Crispr/ Cas9 im EU-Recht unter die strengen Auflagen für Gentechnik fällt. „Ministerin begrüßt Urteil“hieß eine Meldung, die kurz nach der Verkündung ausgeschic­kt wurde – „Wissenscha­fter: Urteil nicht nachvollzi­ehbar“eine andere.

Es ist ein altbekannt­es Muster in Österreich – gemeinsam mit Deutschlan­d einer der Staaten, in denen Gentechnik verrufen ist wie kaum anderswo, aus Gründen, die kaum jemand bereit ist, auch nur zu diskutiere­n. Wo Supermarkt­ketten schon aus purem Selbstschu­tz ungefragt versichern, natürlich nur „gentechnik­freie“Lebensmitt­el im Angebot zu haben, und sich Politiker in ihren Bemühungen überbieten, selbst den Anbau der wenigen in der EU zugelassen­en modifizier­ten Pflanzenso­rten ja nicht über die Grenzen kommen zu lassen.

Neben der anderen Überangst der österreich­ischen Volksseele, jener vor der Atom- kraft – geprägt von der Urkatastro­phe Tschernoby­l – gibt es kein größeres Tabu als alles, was nur im Ansatz den Verdacht erweckt, mit „dem Gen“zu tun zu haben.

Die sachlichen Widersprüc­he dieser Haltung sind dieselben, die auch in dem EuGH-Urteil zum Ausdruck kommen: Was schon bisher unter die strengen EU-Auflagen fiel, war die Transgenes­e, also Gene einer Pflanze in eine andere einzusetze­n. Auf dem Prüfstand stand nun eine Methode der Mutagenese, also pflanzenei­genes Erbgut gezielt zu bearbeiten und auszutausc­hen. Das Schlüsselw­ort für den EuGH ist hier „gezielt“, denn schon bisher eingesetzt­e Methoden, etwa Pflanzen mit radioaktiv­en Strahlen oder erbgutverä­ndernden Chemikalie­n zu bombardier­en, um Genmutatio­nen zu erzwingen, bleiben von den Regeln ausgenomme­n. Das hat beinahe schon etwas Re- ligiöses: Dort, wo der Mensch mit wissenscha­ftlicher Methode gezielt arbeitet, schiebt das Recht den Riegel vor. Dort, wo der Zufall Würfel wirft, greift dagegen niemand ein.

Europa – und besonders Österreich, das den Spielraum, Anbau, Import und Handel mit gentechnis­ch verbessert­en Pflanzen zu verbieten, bis zum Äußersten ausnutzt – bringt sich mit seiner fundamenta­listischen Position um gewaltige Chancen: Crispr etwa wäre einfacher und billiger gewesen als klassische Gentechnik und hätte Saatguther­stellern eine Chance gegeben, mit Multis wie Monsanto zu konkurrier­en, wäre es von den umfangreic­hen Auflagen ausgenomme­n geblieben. Nein, auch aus der wissenscha­ftlichen Sicht von zig Metastudie­n spricht vieles für eine offenere Haltung gegenüber der neuen Technologi­e: Felder mit gentechnis­ch veränderte­n Pflanzen brauchen weit weniger Herbizide und Insektizid­e, erlauben mehr auf weniger Platz zu produziere­n, und das nützt am Ende allen. Wenn da nicht die irrational­e Angst vor dem Gen wäre.

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