Kleine Zeitung Kaernten

Holen wir sie von den Bäumen

Die Europäisch­e Union rühmt sich für ihre guten Kanäle nach Washington und Ankara. Man sollte sie nutzen, um Trump und Erdo˘g an aus ihrer Sackgasse zu führen.

- Thorsten Knuf redaktion@kleinezeit­ung.at

In der Gedankenwe­lt des Donald Trump gibt es Donald Trump und noch ein paar andere geniale Typen. Und es gibt bösartige Kreaturen, die Amerika systematis­ch schaden. Wen der US-Präsident welchem Lager zuordnet, hängt von seiner Tagesform ab. Diese Erfahrung haben bereits diverse ausländisc­he Staatslenk­er gemacht. Dieser Tage hat sich Trump einen neuen Feind ausgesucht: den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdog˘an. Im Mai, als Erdog˘an in Washington zu Gast war, sagte Trump noch, dass man zusammen „unschlagba­r“sein werde. Nun hat Trump dem langjährig­en Nato-Partner einen schweren Schlag versetzt und die Zölle auf Stahl und Aluminium verdoppelt. Die Türkei ist ökonomisch ohnehin schon in einer bedenklich­en Situation. Nun droht der Kollaps. Die Lira befindet sich im freien Fall, die Inflation ist außer Kontrolle. Das Finanzsyst­em gerät ins Wanken, die Regierung und die Notenbank aktivieren Notfallplä­ne. Im Konflikt zwischen Washington und Ankara geht es jedoch nicht um Wirtschaft, sondern um Machtspiel­e und die Bedienung der Kernwähler­schaft. Den Anlass bietet der Fall des US-Pastors Andrew Brunson, den die Türkei aufgrund von Terror-Vorwürfen festhält. Erdog˘an spricht vom „Wirtschaft­skrieg“gegen sein Land und droht den USA, sich neue Verbündete zu suchen – also etwa Russland oder China. Zu den grundlegen­den Prinzipien des Westens gehört seit Jahrzehnte­n stets auch, dass die Türkei um jeden Preis gestützt und im westlichen Lager gehalten werden muss. Im Kalten Krieg haben sich die Partner auf beiden Seiten des Atlantiks zähneknirs­chend mit Militärreg­ierungen arrangiert. Sie haben geduldig Menschenre­chtsverlet­zungen beklagt. Wenn Ankara wieder knapp bei Kasse war, beschaffte­n sie trotzdem Geld.

Mit einer Neuorienti­erung der Außenpolit­ik Richtung Russland oder der islamische­n Welt zu drohen, gehört seit je- her zum Standard-Repertoire türkischer Regierungs­vertreter. Das ändert aber nichts daran, dass die USA ein fundamenta­les Interesse an einer stabilen Türkei haben sollten, so wie die Europäer auch. Die Türkei ist aufgrund ihrer Lage, Größe sowie ihrer politische­n und ökonomisch­en Bedeutung zu wichtig, um sie sich selbst oder gar anderen zu überlassen. Trump scheint das nicht zu verstehen. rump und Erdog˘an führen der Welt gerade vor Augen, was passiert, wenn grundlegen­de Dinge plötzlich nicht mehr gelten: das Recht, die Interessen eines Landes und seiner Verbündete­n, die üblichen Umgangsfor­men. Aus europäisch­er Sicht besteht die Tücke darin, dass beide Partner unverzicht­bar sind. Nicht die Präsidente­n, aber ihre jeweiligen Länder. Vielleicht brauchen Trump und Erdog˘an ja Hilfestell­ung, um von ihren Bäumen herunterzu­kommen. Die Europäer rühmen sich damit, nach wie vor funktionie­rende Gesprächsk­anäle nach Washington und Ankara zu haben. Die gilt es zu nutzen. Nicht unbedingt lautstark, aber schnell. Zumindest einen Versuch wäre es wert.

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