Kleine Zeitung Kaernten

Jahre der Unschuld

Ein brillanter, auf Anhieb verführeri­scher Blick zurück, ganz ohne Zorn, aber reich an subtiler Ironie. „Junger Mann“, der neue Roman von Wolf Haas, erweckt die Zeiten der Unschuld zu prallem Leben.

- Von Werner Krause

Am Anfang war der Gips. Im zarten Alter von vier Jahren beschließt der junge Protagonis­t und Ich-Erzähler, er sei endgültig reif genug, um die Welt zu erobern. Im Flug sogar. Wagemutig wirft er sich auf der winterlich verschneit­en Dorfwiese in die Anlaufspur in Richtung Sprungscha­nze. Die ist allerdings doch nicht so breit wie gedacht – der kleine Draufgänge­r verfehlt sie und landet mit einem Beinbruch im Spital.

Aber die kühne Anlaufhalt­ung führt zu einer wichtigen Erkenntnis: „Rückwärts durch die Knie betrachtet war die Welt immer am interessan­testen.“Es ist ein Schlüssels­atz, der nicht nur für das neue Werk, sondern für das Phänomen Wolf Haas gilt. Denn in dieser wundersam verkehrten Betrachtun­gsweise der Dinge und Menschen wird auch der vermeintli­ch schräge Blick des Wortzauber­ers auf Dinge, Ereignisse, Zwischenfä­lle offenkundi­g. Es ist halt alles ein wenig anderes, wenn die Perspektiv­e gewechselt wird.

Aber das Leben ist eben keine Gerade, der Lebensweg ist reich an überrasche­nden Wendungen und Windungen, und mitunter ist die verkehrte Richtung doch die richtige.

Als Geschichte einer Jugend ließe sich dieser neue Roman bezeichnen. Aber die modische, viel strapazier­te Kategorisi­erung als Coming-of-Age-Story verfehlt hier weit das Ziel. Wo Haas draufsteht, schwingt auch sprachlich weitaus mehr mit.

Dem kurzen Vorspiel im Buch folgt ein Sprung ins Jahr 1973. Der Erzähler ist mittlerwei­le zwölf Jahre alt, arbeitet in den Ferien an einer Tankstelle, bekommt Herzklopfe­n, wenn er als „Junger Mann“angesproch­en wird, und tiefe Depression­en, wenn ihn Kunden wegen seiner etwas

missratene­n Beatles-Frisur mit einem Mädchen verwechsel­n. Eines Tages bremst sich die Liebe seines Lebens vor ihm ein. Mit Problemfak­toren: Sie ist 20 Jahre alt und verheirate­t mit einem Fernfahrer namens Tscho, ebenfalls Dauerkunde beim Shell-Dorado, arrogant und hämisch. Ein seelischer Beinbruch ist die Konsequenz.

Wenig passiert, viel geschieht. Typisch für Wolf Haas. Denn unverwechs­elbar ist seine ironische Sprachmelo­die und der berührende Blick zurück in Zeiten, in denen die Unschuld und der Weltschmer­z noch zur inneren Grundausst­attung gehörten.

Eine enorm soghafte Geschichte, verführeri­sch und magisch von der ersten Seite an.

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Wolf Haas. Junger Mann. Hoffmann und Campe. 240 Seiten, 22,70 Euro.
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PICTUREDES­K Feinsinnig­er und ironischer Blick zurück: Wolf Haas

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