Kleine Zeitung Kaernten

Wenn Lesen lernen zur Qual wird

Bis zu sechs Prozent der Kinder haben eine Lese- und Schreibsch­wäche. Wie man sie erkennt und ob man sie je überwindet, erklärt eine Expertin.

- Lange Von Johanna Wohlfahrt Einmal Legastheni­ker,

Lesen lernen ist für alle Schulanfän­ger schwer. Aber für manche Kinder erschließt sich die Welt der Buchstaben nur mit viel Mühe und einer Extraporti­on Fleiß. Zwischen vier und sechs Prozent aller Kinder sind von einer Lese- und Rechtschre­ibstörung betroffen, der Fachausdru­ck dafür ist so geläufig wie gefürchtet: Legastheni­e.

Bis vor Kurzem gab es die These, dass Kinder mit Legastheni­e in der Anfangsles­estrategie stecken bleiben. Sprich: Es werden nur einzelne Buchstaben vom Lesenden zusammenge­fügt, ganze Wörter werden nicht als solche erkannt. Diese Annahme widerlegt nun eine aktuelle Studie der Universitä­ten Graz und München unter der Federführu­ng der Grazer Entwicklun­gspsycholo­gin Karin Landerl. Sie beschäftig­t sich bereits knapp 30 Jahre mit dieser Lernstörun­g und erzählt: „Mittels EEG und Eyetrackin­g konnten wir feststelle­n, dass auch Kinder mit einer Leseschwäc­he ganze Wörter oder Wortteile abgespeich­ert haben. Aber es gelingt ihnen nicht, schnell darauf zuzugreife­n.“

ging man davon aus, dass legastheni­sche Kinder ein phonologis­ches Defizit hätten – also die Sprachlaut­e schwer mit der Schrift in Verbindung bringen können. „Das scheint aber nur am Anfang des Schriftspr­acherwerbs zu stimmen“, sagt die Expertin. Denn im Studienver­lauf fiel auf: Immer wenn es um das schnelle „Über- setzen“von visuellen in verbale Informatio­nen geht, wird’s stockend. „Das passiert beispielsw­eise auch, wenn die Kinder eine Abfolge von Ziffern rasch benennen müssen – obwohl sie die Ziffern problemlos erkennen.“Das erkläre auch die Tatsache, dass Lese- und Rechtschre­ibschwäche nicht immer im Duett auftreten. Manche Kinder können zwar gut lesen, aber nicht gut rechtschre­iben. Andere haben die Rechtschre­ibung drauf, lesen aber sehr mühevoll.

„Sorgen bereitet mir vor allem die zweite Gruppe, also jene Kinder, die im Schreiben nicht so auffallen“, meint Landerl. Denn in der Förderung von Legastheni­kern werde größeres Augenmerk auf die Rechtschre­ibung gelegt. Und in den höheren Schulstufe­n bleibe eine unter- entwickelt­e Leseleistu­ng oft unerkannt. „Das ist dramatisch. In unserer Informatio­nsgesellsc­haft gibt es für eine schlechte Rechtschre­ibung gute technische Hilfsmitte­l wie Rechtschre­ibprogramm­e.“Wer sich mit dem Lesen schwertut, sei massiver von einer Legastheni­e betroffen. Landerl: „Heutzutage gibt es ja nur noch ganz wenige Berufe, in denen man nicht auf Informatio­nen aus geschriebe­nen Texten zugreifen muss.“

Legastheni­e, das ergaben andere Studien, ist in der Regel vererbt. „Wenn bereits ein Elternteil oder ein Bruder bzw. eine Schwester betroffen sind, gibt es eine Wahrschein­lichkeit von 50 Prozent, dass auch das Kind diese Lernstörun­g hat“, erklärt die Wissenscha­ftlerin. Vor Schuleintr­itt lasse sich das nicht so leicht erkennen, „außer das Kind ist in seiner Sprachentw­icklung auffällig, sodass schon im Kindergart­en die Logopäden aufmerksam werden“.

Landerls Tipp für Eltern von Schulanfän­gern: „Die Dinge in der ersten Klasse einmal im Auge behalten. Bis etwa Weihnachte­n sollte das Lesen von einfachen Wörtern mit den bekannten Buchstaben gelingen. Wenn das nicht der Fall ist: Mehr üben.“Und wenn auch das ins Leere geht? „Dann sollte man eine Interventi­on durch Experten andenken.“Immer in enger Absprache mit den Pädagogen, versteht sich.

immer Legastheni­ker. Stimmt das so? Oder ist es möglich, dieses Defizit über die Jahre auszugleic­hen? „Legastheni­e ist sicher ein Thema, das die betroffene­n Menschen bis ins Erwachsene­nalter begleitet“, erklärt Landerl, „allerdings ist es immens wichtig, wie die Betroffene­n, die Angehörige­n und die Pädagogen damit umgehen.“Vorrangig wäre die Erkenntnis: „Wir sind nicht in allen Bereichen gleich begabt.“Manche täten sich mit Mathematik schwer, andere eben mit dem Schreiben und Lesen. Und die einzige Strategie, das abzuschwäc­hen, sei üben, üben, üben. „Man sollte an dem Thema beständig dranbleibe­n. Und vor allem als Elternteil darauf schauen, dass diese Übung trotzdem mit möglichst viel Freude und möglichst wenig Druck passiert.“

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KK Legastheni­eexpertin Karin Landerl
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