Gruppentherapie im Mirabellgarten
Die Inszenierung war perfekt, die Ergebnisse mager. Der Vorhang zu, alle Fragen offen. Aber immerhin sprachen die Europäer beim Salzburger Gipfel wieder freundlich miteinander.
Salzburg für sich allein ist schon spektakulär. Als die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sich am Donnerstag zu Mittag in aufgeräumter Stimmung im Mirabellgarten versammelten und unter einem azurblauen Himmel vor der prächtigen Kulisse von Altstadt und Festung für das traditionelle Familienfoto aufstellten, da wurde einmal mehr deutlich, worin Österreichs einzigartige Qualitäten in Europa liegen: Als Gastgeber ist das Land einfach unschlagbar.
Für die über die Migrationspolitik heillos zerstrittenen Europäer bot Salzburg das perfekten gruppentherapeutische Ambiente. Und der österreichische Ratsvorsitz unternahm auch alles, um den Gästen den Aufenthalt so annehmlich wie nur möglich zu gestalten: Haubenköche servierten Schnitzel vom und Kaiserschmarrn und Thaddaeus Ropac führte Europas Mächtige durch seine erlesene Galerie.
Doch so perfekt das Großereignis auch orchestriert war, so eigenartig kontrastierte die strahlende Inszenierung am Ende doch mit den mageren Ergebnissen des Gipfels und den vom österreichischen Ratsvorsitz über Monate hinweg aufgebauten Erwartungen.
In der Migrationspolitik bleiben die Fronten zwischen Ost und West, Nord und Süd erstarrt. Die vom österreichischen Ratsvorsitz favorisierte Ausweitung des Mandats der EU-Grenzsschutzagentur Frontex, die Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner letzten Rede zur Lage der Union in der Vorwoche in Straßburg vorschlug, findet zwar grundsätzlich Konsens, in Detailfragen aber spießt es sich. Die Südländer, allen voran Italien, Griechenland und Spanien, aber auch Ungarn sperren sich dagegen, weil sie fürchten, dann nicht mehr Herren ihrer eigenen Gebiete und Gewässer zu sein, sondern das Kommando an Brüssel abgeben zu müssen. Mitschwingen dürfte aber auch die Sorge, dass die nach wie vor laxe Registrierung von Migranten und damit auch die heimliche Politik des Durchwinkens dann wohl ein jähes Ende hätten. Weiterhin offen blieb auch die Frage der Sekundärmigration, also etwa, ob es einen Verteilungsschlüssel oder AbschlagsMilchkalbsrücken
zahlungen innerhalb der Mitgliedsländer geben soll. Widerstand kommt hier unter anderem von Angela Merkel. Es könne nicht sein, „dass sich jeder aussucht, was er gerade machen möchte“, sagte sie am Ende des Gipfels in Salzburg.
Die Trendwende in der Migrationspolitik, von der Kanzler Kurz gerne spricht, mag es tatsächlich geben. Aber sie ist vorerst nur atmosphärisch. Alle reden davon, dass der Schutz der Außengrenzen bereits jenseits des Mittelmeers in Afrika be- ginnt. Aber der Weg ist noch weit. In den letzten Wochen hat sich jedoch der Kontakt zu Ägypten intensiviert. Das Land hat eine hochaktive Küstenwache und lässt keine Flüchtlinge über den Seeweg weiterkommen. Donald Tusk, der erst am Sonntag mit Sebastian Kurz in Kairo war, wird Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi Ende der Woche neuerlich treffen, diesmal in New York. „Es kann niemand sagen, dass die bisherige Politik Leben gerettet hat“, sagte Kurz. „Es braucht einen Systemwechsel“, dieser könne durch starke Partner in Afrika eingeleitet werden.
Beim Brexit konnte man zwar immerhin verbuchen, dass die abendlichen Gespräche in weit entspannterer Atmosphäre verliefen als bei den vorangegangenen Gipfeltreffen, allerdings kehrten die Verhandlungspartner unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurück. Beide Seiten hatten zuletzt die jeweiligen Vorschläge abgelehnt, immer noch ist eine für alle Beteiligten akzeptable Irland-Lösung nicht in Sicht. Die britische Premierministerin Theresa May deutete allerdings neue Möglichkeiten an. „Wir werden bald eigene Vorschläge bringen“, sagte May gestern nach Abschluss des EUGipfels in Salzburg. Sie schloss aber dezidiert ein zweites Referendum aus und betonte: „Wir werden die EU verlassen.“
Den Vorschlag der EU-Kommission, Nordirland solle ohne andere Lösung bis auf Weiteres Teil der Zollunion bleiben, lehnte May erneut ab. Gerade die Irland-Lösung hatte EU-Gipfelpräsident Donald Tusk zuvor als unverhandelbare Bedingung für einen Austrittsvertrag bekräftigt. Nun setzt man alles auf den nächsten regulären Gipfel im Oktober und einen möglichen eigenen Brexit-Gipfel im November, der dann den endgültigen Schlusspunkt setzen könnte. Tusk: „Der Moment der Wahrheit ist der Europäische Rat im Oktober.“