Rote Spätzünderin aus Favoriten
Sie wuchs im tiefroten Favoriten auf, trat aber erst mit 45 der SPÖ bei. Pamela Rendi-Wagner muss der tief verunsicherten, zerstrittenen Partei eine neue Perspektive eröffnen.
Wenn das keine Zäsur ist? Erstmals seit Gründung der SPÖ steht mit Pamela
Rendi-Wagner eine Frau an der Spitze der traditionsreichen, lange von männlichen Gewerkschaftern dominierten Partei. Dass eine Frau das Rennen gemacht hat, weil alle Männer abgesagt haben, ist Unsinn. Doris
Bures war die erste Wahl, sie sagte ab, weil sie mit der Hofburg liebäugelt. Die Kür der 47jährigen Ex-Ministerin ist noch aus einem anderen Grund eine Zäsur: Sie trat erst am Tag vor ihrer Angelobung der SPÖ bei. Kann Rendi-Wagner Oppositionschefin? Christian Kern scheiterte nach eigenem Bekunden an der Rolle: „Es ist nicht mein Stil, mit dem Bihänder auf Leute einzudreschen.“Rendi-Wagner wurde von Kern in die Politik geholt. Manche bezeichnen sie abschätzig als „Kern-Kopie“.
H ört man sich bei SPÖ-Funktionären um, ergibt sich ein einheitliches Bild: Man kennt sie, allerdings nicht aus der direkten Begegnung, sondern aus den Medien. Im Wahlkampf tourte sie oft an Kerns Seite durch Österreich. In der alten Regierung zählte sie zu den populärsten Ministerinnen, im OGM-Vertrauensindex stieg sie damals in die Top drei auf.
N ach der gestrigen Präsidiumssitzung streuten ihr die SPÖ-Granden Blumen. Und auch jene, die sie besser kennen, sind des Lobes: „Pam ist intelligent, ausgeglichen, analytisch, empathisch und besitzt hohe soziale Intelligenz“, meint ein Mitstreiter. Ein wenig wohlmeinender Bekannter erklärt: „Sie hat die Chance, über massive Popularität in der Bevölkerung die Partei hinter sich zu scharen.“Dass sie reüssieren würde, weil auch Parteigründer
Victor Adler ein Arzt war, gehört ins Reich des Anekdotischen.
R endi-Wagner stammt aus dem klassisch tiefroten Favoriten. Sie ging auf dasselbe Gymnasium wie Sebastian Kurz
(ein paar Jahre zuvor), studierte Medizin in Wien und London und habilitierte sich für Tropenmedizin. Als ihr Mann Michael Rendi Botschafter in Israel wurde, ging sie mit. Sie lernte Hebräisch, eine Tochter kam dort zur Welt. Ihr Mann stammt aus einer alten jüdischen Grazer Familie. Das Tuchgeschäft am Joanneumring wurde 1938 arisiert. Nach der Rückkehr aus Tel Aviv stieg sie zur obersten Gesundheitsbeamtin der Republik auf, ihr Mann wurde Kabinettschef von Kanzleramtsminister Thomas Drozda.
D ass sie sich auf ein Himmelfahrtskommando einlässt, daran erinnern die Turbulenzen der letzten Tage. Kern hatte länger mit seiner Oppositionsrolle gehadert. Im Sommer wälzte er mit Vertrauten Pläne, von der Parteispitze abzutreten und für Europa zu kandidieren. Da spielte die Angst mit, dass man ihm eine Niederlage bei der EU-Wahl umhängen würde. In den Tagen zuvor fühlte er bei Michael Ludwig, Doris Bures, Wolfgang Katzian, Peter Kaiser, Hans-Peter Doskozil vor. Diensenger
tagabends wollte er bei einem Abendessen die anderen Landesparteichefs einweihen.
D och das Vorhaben wurde frühzeitig, noch dazu unvollständig nach außen getragen. Auch wurde das üble Gerücht verbreitet, Kern gehe zu Gazprom. Kern wollte erst am Tag danach die Öffentlichkeit informieren. Wo die Intrige ihren Ausgang nahm? In der Wiener SPÖ gibt es Kreise, die noch eine Rechnung offenhaben. Als
Werner Faymann 2007 Minister und 2008 Kanzler wurde, jubelte Michael Häupl, weil er so einen lästigen Konkurrenten um die eigene Nachfolge loswurde. In Faymanns Fußstapfen auf Wiener Boden trat allerdings
Michael Ludwig, Faymanns Wechsel in den Bund entpuppte sich aus Sicht des Häupl-Lagers als Pyrrhussieg. Dass Faymann am 1. Mai 2016 ausgepfiffen wurde, wenige Tage später zurücktreten musste und stattdessen Kern kam, dürfte die Intrige befeuert haben. Die größten Vorbehalte gegen Rendi-Wagner kommen aus der Ludwigund Doskozil-Ecke, die ihr zum Vorwurf machen, statt an der roten Basis lieber in Bobo-Kreisen zu verkehren.
K ern scheint mit der Innenpolitik abgeschlossen zu haben und fokussiert sich auf Europa – auch mit dem Hintergedanken, Kurz bei der EU-Wahl die erste Niederlage seit Übernahme der ÖVP zuzufügen. Gestern ließ Kern offen, ob er überhaupt ein Mandat im EUParlament annehmen würde.