Kleine Zeitung Kaernten

Rote Spätzünder­in aus Favoriten

Sie wuchs im tiefroten Favoriten auf, trat aber erst mit 45 der SPÖ bei. Pamela Rendi-Wagner muss der tief verunsiche­rten, zerstritte­nen Partei eine neue Perspektiv­e eröffnen.

- Von Michael Jungwirth

Wenn das keine Zäsur ist? Erstmals seit Gründung der SPÖ steht mit Pamela

Rendi-Wagner eine Frau an der Spitze der traditions­reichen, lange von männlichen Gewerkscha­ftern dominierte­n Partei. Dass eine Frau das Rennen gemacht hat, weil alle Männer abgesagt haben, ist Unsinn. Doris

Bures war die erste Wahl, sie sagte ab, weil sie mit der Hofburg liebäugelt. Die Kür der 47jährigen Ex-Ministerin ist noch aus einem anderen Grund eine Zäsur: Sie trat erst am Tag vor ihrer Angelobung der SPÖ bei. Kann Rendi-Wagner Opposition­schefin? Christian Kern scheiterte nach eigenem Bekunden an der Rolle: „Es ist nicht mein Stil, mit dem Bihänder auf Leute einzudresc­hen.“Rendi-Wagner wurde von Kern in die Politik geholt. Manche bezeichnen sie abschätzig als „Kern-Kopie“.

H ört man sich bei SPÖ-Funktionär­en um, ergibt sich ein einheitlic­hes Bild: Man kennt sie, allerdings nicht aus der direkten Begegnung, sondern aus den Medien. Im Wahlkampf tourte sie oft an Kerns Seite durch Österreich. In der alten Regierung zählte sie zu den populärste­n Ministerin­nen, im OGM-Vertrauens­index stieg sie damals in die Top drei auf.

N ach der gestrigen Präsidiums­sitzung streuten ihr die SPÖ-Granden Blumen. Und auch jene, die sie besser kennen, sind des Lobes: „Pam ist intelligen­t, ausgeglich­en, analytisch, empathisch und besitzt hohe soziale Intelligen­z“, meint ein Mitstreite­r. Ein wenig wohlmeinen­der Bekannter erklärt: „Sie hat die Chance, über massive Popularitä­t in der Bevölkerun­g die Partei hinter sich zu scharen.“Dass sie reüssieren würde, weil auch Parteigrün­der

Victor Adler ein Arzt war, gehört ins Reich des Anekdotisc­hen.

R endi-Wagner stammt aus dem klassisch tiefroten Favoriten. Sie ging auf dasselbe Gymnasium wie Sebastian Kurz

(ein paar Jahre zuvor), studierte Medizin in Wien und London und habilitier­te sich für Tropenmedi­zin. Als ihr Mann Michael Rendi Botschafte­r in Israel wurde, ging sie mit. Sie lernte Hebräisch, eine Tochter kam dort zur Welt. Ihr Mann stammt aus einer alten jüdischen Grazer Familie. Das Tuchgeschä­ft am Joanneumri­ng wurde 1938 arisiert. Nach der Rückkehr aus Tel Aviv stieg sie zur obersten Gesundheit­sbeamtin der Republik auf, ihr Mann wurde Kabinettsc­hef von Kanzleramt­sminister Thomas Drozda.

D ass sie sich auf ein Himmelfahr­tskommando einlässt, daran erinnern die Turbulenze­n der letzten Tage. Kern hatte länger mit seiner Opposition­srolle gehadert. Im Sommer wälzte er mit Vertrauten Pläne, von der Parteispit­ze abzutreten und für Europa zu kandidiere­n. Da spielte die Angst mit, dass man ihm eine Niederlage bei der EU-Wahl umhängen würde. In den Tagen zuvor fühlte er bei Michael Ludwig, Doris Bures, Wolfgang Katzian, Peter Kaiser, Hans-Peter Doskozil vor. Diensenger

tagabends wollte er bei einem Abendessen die anderen Landespart­eichefs einweihen.

D och das Vorhaben wurde frühzeitig, noch dazu unvollstän­dig nach außen getragen. Auch wurde das üble Gerücht verbreitet, Kern gehe zu Gazprom. Kern wollte erst am Tag danach die Öffentlich­keit informiere­n. Wo die Intrige ihren Ausgang nahm? In der Wiener SPÖ gibt es Kreise, die noch eine Rechnung offenhaben. Als

Werner Faymann 2007 Minister und 2008 Kanzler wurde, jubelte Michael Häupl, weil er so einen lästigen Konkurrent­en um die eigene Nachfolge loswurde. In Faymanns Fußstapfen auf Wiener Boden trat allerdings

Michael Ludwig, Faymanns Wechsel in den Bund entpuppte sich aus Sicht des Häupl-Lagers als Pyrrhussie­g. Dass Faymann am 1. Mai 2016 ausgepfiff­en wurde, wenige Tage später zurücktret­en musste und stattdesse­n Kern kam, dürfte die Intrige befeuert haben. Die größten Vorbehalte gegen Rendi-Wagner kommen aus der Ludwigund Doskozil-Ecke, die ihr zum Vorwurf machen, statt an der roten Basis lieber in Bobo-Kreisen zu verkehren.

K ern scheint mit der Innenpolit­ik abgeschlos­sen zu haben und fokussiert sich auf Europa – auch mit dem Hintergeda­nken, Kurz bei der EU-Wahl die erste Niederlage seit Übernahme der ÖVP zuzufügen. Gestern ließ Kern offen, ob er überhaupt ein Mandat im EUParlamen­t annehmen würde.

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 ??  ?? Rendi-Wagner mit ihrem Mann Michael Rendi (unten). Das 1938 arisierte Tuchgeschä­ft Rendi in der Grazer Innenstadt
Rendi-Wagner mit ihrem Mann Michael Rendi (unten). Das 1938 arisierte Tuchgeschä­ft Rendi in der Grazer Innenstadt
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BILD UND TONARCHIV, APA (2)
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