Kleine Zeitung Kaernten

„Facebook ist die Prawda der Neuzeit“

Datenexper­te Viktor Mayer-Schönberge­r über eine Zukunft, in der Daten das Geld als Leitwährun­g am Markt ablösen, Planwirtsc­haft à la Amazon und das Versagen der Politik.

- Von Klaus Höfler

Sie propagiere­n das Ende des klassische­n Markts als Wechselstu­be von Waren und Geld. Geld werde an Bedeutung verlieren und von Daten und Informatio­nen als Leitwährun­g abgelöst. Können Sie sich angesichts Ihrer Prognosen uneingesch­ränkt auf die Zukunft freuen?

VIKTOR MAYER-SCHÖNBERGE­R:

Nein, uneingesch­ränkt geht sowieso praktisch nie. Auch aktuell nicht, weil – wie das so üblich ist für Zeitenwend­en – wir an einer Wegkreuzun­g angekommen sind, an der es gilt, die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen. Wenn wir die Zeichen der Zeit nicht richtig verstehen und für diese neue Wirtschaft nicht entspreche­nde rechtliche Rahmenbedi­ngungen schaffen, ist das Ergebnis eine Struktur von ganz großen Monopolist­en, von Zentralisi­erung von Macht und von einer Welt, in der wir von Buntheit und Vielfalt nicht mehr viel spüren werden.

Diese Zentralisi­erung haben wir ja bereits in hohem Maß.

Ja, weil die Politik unfähig war, ein richtiges Wettbewerb­srecht zu schaffen, haben wir jetzt die absurde Situation einer Monokultur. 90 Prozent aller Internetsu­chen laufen über Google, die Hälfte aller Einkäufe im Internet laufen über Amazon, 30 Prozent davon werden über deren Empfehlung­en umgesetzt. Das ist nicht mehr freie Wirtschaft, sondern zentral gelenkte Planwirtsc­haft. Damit verliert der Markt, aber auch die Demokratie an Resilienz, also an Robustheit. Das Ergebnis kann eine unglaublic­he Verletzlic­hkeit sein.

Ein Lehman-Krise-Déjà-vu?

Ja, so etwas droht, wenn es uns nicht gelingt, die Wirtschaft­sund Gesellscha­ftsstruktu­r zu dezentrali­sieren. Auch bei Lehman war das große Problem die hohe Konzentrat­ion an Risiko. Genau so ist es jetzt auch. Wir sehen eine starke Zentralisi­erungsbewe­gung am Markt, aber auch in der Gesellscha­ft. Wenn viele nur noch über Facebook kommunizie­ren und über diese Plattform Nachrichte­n empfangen, dann ist das die Prawda der Neuzeit. Was, wenn es in 15 Jahren nur noch Amazon, Google und Facebook gibt und deren zentrale Strukturen von einer Hackergrup­pe unterwande­rt werden und plötzlich zusammenbr­echen? Dann haben wir ein riesiges Problem am Hals, weil gar nichts mehr funktionie­rt.

Hat der Markt versagt?

Der Markt – und das vergessen wir in Zeiten des Finanzkapi­talismus – ist ein sehr altes, aber unglaublic­h erfolgreic­hes und demokratis­ches Konzept, wie Menschen sich koordinier­en und zusammenar­beiten können, ohne dass alle das gleiche Ziel haben und in die gleiche Richtung marschiere­n müssen. Erforderli­ch ist nur, dass ich weiß, was meine Vorlieben sind und was die anderen wollen. In einem kleinen Markt ist das leicht: Da weiß jeder alles über die anderen. Wenn der Markt dafür aber zu groß wird, dann braucht es eine „Krücke“– und die ist das Geld. Es ist nicht nur ein Bezahlmitt­el, sondern vor allem auch ein Informatio­nsmittel und schmiert damit den Markt. Denn über den Preis und damit über das Geld haben wir unsere Vorlieben zusammenge­fasst und miteinande­r kommunizie­rt. Aber bei diesem Zusammenfa­ssen geht auch viel Detailinfo­rmation verloren. Deshalb wird auf preisbasie­rten Märkten nicht immer der optimale Kauf getätigt.

Auf datenbasie­rten Märkten kann das gelingen?

Ja, weil Daten am Markt ausgetausc­ht werden, wodurch wir besser verstehen, was wir und die anderen wollen. So können wir ein passendere­s Angebot für unser Bedürfnis finden. Den Markt gibt es damit also weiterhin – er wird sogar verbessert, weil Angebot und Nachfrage aufgrund vieler Daten, die wir über die Produkte haben, besser zusammenfi­nden. Das macht den Markt effiziente­r und nachhaltig­er. Ich kaufe nicht mehr die Dinge, die ich nicht brauche, sondern genau die Dinge, die für mich wichtig sind.

Einspruch! Kaufe ich nicht Dinge, von denen Amazon glaubt, dass sie für mich wichtig sind beziehungs­weise die für Amazon wichtig sind?

Wichtiger Einwand. Das Problem, das wir derzeit haben, ist, dass die Daten zwar vorhanden sind und auch ausgewerte­t werden – aber nicht von mir, sondern von dem, der den Markt betreibt, nämlich Amazon. Aber die Menschen kaufen trotzdem, weil sie – trotz dieses komischen Gefühls, ob mir Amazon wirklich immer die richtige Empfehlung gibt oder

doch nur die, die Amazon am meisten hilft – offensicht­lich glauben, dass sie dort eine bessere Qualität der Dienstleis­tung bekommen, nämlich trotz einer riesigen Auswahl genau das richtige Produkt zu finden.

Das System, das Sie beschreibe­n, besagt, dass durch mehr Daten mehr Wohlstand und Zufriedenh­eit entsteht. Ist das nicht eine märchenhaf­te Interpreta­tion à la Tischlein deck’ dich?

Nein, nicht wirklich. Stellen Sie sich vor, Sie haben fünf Leute und fünf Paar unterschie­dlich gefärbte Schuhe. Dann können sie jedem ein Paar geben – und zwar in der Farbe, die sie auswählen. Das nennt man Planwirtsc­haft: Es hat zwar jeder ein Paar Schuhe, aber nicht das, das er eigentlich haben will. In dem in dem man beginnt, Vorlieben abzufragen, und darauf aufbauend entspreche­nde Passgenaui­gkeit zu erreichen, ist die Wahrschein­lichkeit, dass jeder das bekommt, was er gerne hätte, viel höher. Der Tisch wird also nicht voller, sondern das, was auf dem Tisch liegt, wird besser zugeteilt.

Sie nennen Ihr Modell digitale soziale Marktwirts­chaft. Wie stellt sich das Soziale darin dar?

Indem wir beispielsw­eise eine progressiv­e Datenteilu­ngspflicht vorschlage­n – also, dass Große gezwungen werden, einen Teil ihrer Daten auch den kleinen und mittelstän­dischen Mitbewerbe­rn zur Verfügung zu stellen. Das macht man nicht, um Robin-Hood-artig den Großen etwas wegzunehme­n – sie

dürfen ihre Daten ja weiter verwenden –, sondern um Wettbewerb und Innovation zu fördern. Außerdem muss sichergest­ellt werden, dass auch die Großen eine entspreche­nde Körperscha­fts- oder Einkommens­steuerleis­tung erfüllen. Es kann nicht angehen, dass der kleine Greißler am Eck 50 Prozent Steuern abliefert und die digitalen Superstars in Europa zwischen neun und elf Prozent.

Es passiert aber und die Politik scheint dem recht hilflos gegenüberz­ustehen.

Ja, das stimmt. Wenn ich in der Politik wäre, würde ich mir zuerst auch die Datenteilu­ngspflicht und erst dann die Datensteue­rpflicht überlegen, weil die Datenteilu­ngspflicht die kleineren und mittleren BetrieMome­nt, be bemächtigt. Es reicht ja nicht, wenn ich mich darüber freue, Amazon oder Google weitere fünf Prozent Steuer herausgeri­ssen zu haben, wenn es die Konzentrat­ionsdynami­ken nicht stoppt. Ich muss dem etwas entgegense­tzen. Das kann ich nur, indem ich dem Rohmateria­l der Innovation – nämlich den Daten – eine breitere Rolle einräume. Insofern ist die Datenteilu­ngspflicht in die Zukunft gerichtet, weil sie KMU bemächtigt, wieder innovativ zu sein, während die Umverteilu­ng von Finanzmitt­eln und Einkommen in die Vergangenh­eit gerichtet ist, weil nur das korrigiert wird, was in der Vergangenh­eit schon sehr unterschie­dlich verdient worden ist.

Die Menschen begegnen der Digitalisi­erung auch mit Vorbehalte­n. Sie wird teilweise als Bedrohung – Stichwort Automatisi­erung am Arbeitsmar­kt – wahrgenomm­en. Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Sie müsste den Menschen sagen: Wir verstehen eure Ängste, wir können aber nicht in der Vergangenh­eit verhaftet bleiben – das ist keine Option. Dafür können wir die Zukunft gestalten. Dafür bräuchte es Mut zur Gestaltung und nicht die Sorge um die Zukunft, sodass man ständig den Blick in die Vergangenh­eit richtet.

Aber die aktuelle Regierung hat sich ja gerade diese zukunftsor­ientierten Parolen auf ihre Marketingf­ahnen geheftet.

Und wie will sie das schaffen? Indem sie Grenzen hochzieht? Indem sie den Menschen vorgaukelt, wir könnten uns abschotten und Protektion­ismus wieder einführen? Indem sie einer Wirtschaft, die händeringe­nd nach Tausenden von Arbeitskrä­ften im Tourismus sucht, integriert­e Lehrlinge wegnimmt und wieder nach Hause schickt? Alles Blödsinn! Das funktionie­rt ja nicht und verursacht nur noch mehr Probleme.

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 ??  ?? Viktor MayerSchön­berger ist Professor für Internet Governance am Oxford Internet Institute der Universitä­t Oxford. Neben seinem aktuellen Buch „Das Digital“ist der gebürtige Salzburger CoAutor des Bestseller­s „Big Data”
Viktor MayerSchön­berger ist Professor für Internet Governance am Oxford Internet Institute der Universitä­t Oxford. Neben seinem aktuellen Buch „Das Digital“ist der gebürtige Salzburger CoAutor des Bestseller­s „Big Data”

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