Neokolonialer Irrwitz als Fiebertraum in Neonlicht
Gelungene Uraufführung: Dominic Friedel dramatisiert Fiston Mwanza Mujilas großartigen Roman „Tram 83“.
In dieser Bar gärt das Leben. Warlords, Waffenhändler, Mineure, Abenteuertouristen, Investoren geben einander die Klinke in die Hand, die Prostituierten sind entweder minderjährig oder eigentlich längst zu alt für das Geschäft, und der Jazz ist laut und heiß.
In „Tram 83“, seinem Fiebertraum von einem Roman, imaginiert der in Graz lebende kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila den schärfsten Nachtclub einer Stadt, die nie weiß, ob es für sie noch ein Morgen gibt. Nun legt Regisseur Dominic Friedel am Grazer Schauspielhaus eine so herausfordernde wie überzeugende Dramatisierung des preisgekrönten Buchs vor. Es ist eine Uraufführung im Rahmen des steirischen herbsts, der mit der Ausstellung „Congo Stars“im Grazer Kunsthaus auch gleich einen kleinen, aber kompakten Schwerpunkt in Sachen Politik, Geschichte und Kultur des Kongo setzt.
An Afrika erinnert in Friedels Inszenierung aber kaum etwas. Ein spiegelnder Boden und viel gleißendes Neon genügen als Bühne (Frank Holldack), vier Schauspieler als Personal. Weil im „Tram 83“alles möglich ist und Identitäten ohnehin Konstrukt sind, spielen Maximiliane Haß, Sarah Sophia Meyer und Tamara Semzov die Männerrollen, Pascal Goffin stellt alle Frauen dar. Handlung wird nur angedeutet, sie dreht sich um Requiem und Lucien, zwei Brüder oder Freunde, ganz genau ist das nicht festgelegt. Der eine ist ein Verbrecher, der andere ein idealistischer Literat, der in der Welt des „Tram83“keinen Platz für sich findet.
Wichtiger als die Figuren nimmt Friedel jedoch die Sprachmacht des Autors. Anstatt Mwanza Mujilas Roman szenisch zu bebildern, malt er ihn mit der Sprache nach und der oft angesprochene Jazz im „Tram 83“scheint die ganze Inszenierung zu strukturieren, wenn die Schauspieler mit der Sprache musizieren, mit Rhythmen, Soli, Breaks, chorischen Passagen.
Das ist präzise gearbeitet und spannungsreich aufgebaut; der Dekonstruktion der Hand-
lung, dem Textdauerfeuer dieser Sprechperformance zwei Stunden lang zu folgen, ist streckenweise aber durchaus strapaziös – und doch wird man zwischen neokolonialem Grauen und urbanem Unterhaltungsirrwitz selten so anregend unterhalten wie unter den Verbrechern, Sonderlingen, Außenseitern im „Tram 83“. Langer Applaus.Ute Baumhackl
Tram 83. Nach dem Roman von Fiston Mwanza Mujila. Schauspielhaus Graz. Nächste Termine: 27. September, 2./15./19. Oktober. Karten: Tel. 0316/8000.