„Die Muttersprache ist den Menschen zumutbar“
Würdigung als Wiedergutmachung: Florjan Lipuˇs erhielt gestern den Großen Österreichischen Staatspreis überreicht.
Nahezu unbemerkt von den Anwesenden nahm knapp vor Beginn des Festaktes noch
Peter Handke im Kongress-Saal des Bundeskanzleramtes Platz. Handke hat Anfang der 1980erJahre durch die Übersetzung des „Zögling Tjazˇ“(mit Helga
Mracˇnikar) den Grundstein dafür gelegt, dass Florjan Lipusˇ auch im deutschsprachigen Raum bekannt werden konnte.
Dass er nun als erster slowenisch schreibender Autor (mehr als ein Dutzend Romane) den Großen Österreichischen Staatspreis erhielt, bezeichnete Florjan Lipuˇs in seiner Dankesrede als „Wiedergutmachung des Unrechts an den Kärntner Slowenen“. Aus aktuellem Anlass wandelte der 81-Jährige das IngeborgBachmann-Zitat „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“in „Die Muttersprache ist den Menschen zumutbar“um.
So habe es die Gemeinde Sittersdorf/Zitara vas, in der Lipuˇs seit bald vier Jahrzehnten lebt, nicht geschafft, seinen Heimatort (Sielach) auch slowenisch (Sele) zu benennen. Der Kunstsenat hingegen, des- sen 21 Mitglieder den Staatspreisträger nominieren, habe die Sprache sichtbar gemacht. „Wer in seiner Muttersprache denkt und schreibt, kann weiterhin als brauchbarer Österreicher angesehen werden. Slowenisch ist Österreich zumutbar,“schloss Lipuˇs.
Beharrlich für die Auszeichnung „des eigentlichen und ersten Kärntner Schriftstellers der slowenischen Sprache“hat sich Kunstsenat-Präsident Josef Winkler eingesetzt. Seine Laudatio entwickelte Winkler aus den Lipuˇs-Romanen „Boˇstjans Flug“und „Die Beseitigung meines Dorfes“. Die traumatische Erfahrung des Buben, dessen Mutter vom Brotteigkneten weg verhaftet und im KZ Ravensbrück ermordet wird, und die „psalmodierende Sprache“für die für Außenstehende schwer zu durchschauenden Gesetze im Dorf seien charakteristisch für das erzählerische Opus; der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Geringschätzung der slowenischen Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung und die Rettung sloweni- scher Wörter die Themen, die Lipuˇs nicht loslassen.
„In Würdigung des Gesamtwerks“überreichte Kulturminister Gernot Blümel die Urkunde (der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert). „Florjan Lipuˇs zählt nicht nur zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern, sondern wird immer mehr als europäischer Schriftsteller wahrgenommen“, sagte Blümel,
Weitere Gäste bei der vom Carinthia Saxophonquartett und Tenor Gabriel Lipusˇ musikalisch begleiteten Zeremonie waren neben Handke die Autoren Antonio Fian, Anna Baar, Lydia Mischkulnig, Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann, ÖNB-Generaldirektorin
Johanna Rachinger, Anke Bosse
(Musil-Institut), Sloweniens Kulturminister Dejan Presˇicˇek, der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser sowie die früheren Kulturminister Josef
Ostermayer und Thomas Drozda.
„Der 1. Oktober ist jetzt ein neuer Feiertag für die Kärntner Slowenen“, stellte ein Besucher fest.