Nationalheld, quasi unbekannt
Man nennt ihn den „Rousseau des Ostens“. Nun will die Wiener Albertina mit einer Ausstellung den Georgier Niko Pirosmani für die westliche Kunstwelt entdecken.
In der Altstadt von Tbilissi (Tiflis) macht ein Kioskbesitzer, der Hotdogs und Zigaretten verkauft, mit dem Bild eines sacht erstaunt wirkenden Fischers im roten Hemd auf sein Büdchen aufmerksam. Ein paar Gassen weiter wirbt ein Wirt mit einem Gemälde würdevoll vor sich hin zechender Herren an einer Festtafel für seinen Schankbetrieb. Die beiden sind nicht die Einzigen, die sich in Georgien auf die Werbewirkung eines Nationalhelden verlassen, der im Westen bisher so gut wie unbekannt blieb: Niko Pirosmani (1862–1918) ist in seiner Heimat allgegenwärtig: Motive des Autodidakten finden sich auf Banknoten, Kühlschrankmagneten, Weinetiketten, Tourismusprospekten.
Nun steht, in den Worten von Georgiens Vize-Kulturminister Mikheil Giorgadze, seinem Werk „ein großes Ereignis“bevor: Die Georgische Nationalgalerie verleiht 29 Arbeiten aus ihrem 152 Bilder umfassenden Pirosmani-Bestand an die Wiener Albertina. Dort eröffnet am 26. Oktober die Ausstellung „Niko Pirosmani – Wanderer zwischen den Welten“. Kuratorin Elisabeth Dutz, die den lange als rein naiven Maler missverstandenen Vorläufer der russischen Avantgarde in der Albertina Künstlern wie Kiki Smith, Georg Baselitz, Tadao Ando gegenüberstellen wird, hofft auf einen „Wendepunkt in der internationalen Wahrnehmung des Künstlers“. Ob’s diesmal klappt? Schon 1969 gab es Pirosmani-Ausstellungen in Paris und Wien, 1995 zeigte die Schweizer Kuratorin Bice Curiger sein Werk in Zürich. Curiger war 2011 Direktorin der Biennale Venedig, die Wiener Schau holt die nunmehrige Leiterin der Fondation Vincent van Gogh 2019 auch nach Arles.
Dass Pirosmani bei uns trotz der bisherigen Bemühungen nicht bekannter ist, mag mit daran liegen, dass es in westlichen Museen kaum Werke von ihm gibt.
Rund 200 seiner Arbeiten sind erhalten, auf dem Markt ist, sagt Kuratorin Dutz, „absolut nichts“. Ein Marktwert lässt sich so kaum festlegen. Obwohl: Pirosmanis Gemälde „ArsenalHügel bei Nacht“wurde 2007 bei Sotheby’s New York um 1,83 Millionen Dollar versteigert, das Bild eines trinkenden Rehs ging 2016 für 917.000 Dollar über den Tisch. Kann sein, dass noch unentdeckte Werke gefun- den werden. 2000 Bilder soll Pirosmani gemalt haben, der Großteil gilt als verschollen.
Was über den Maler bekannt ist, klingt fast karikaturhaft tragisch. Der Sohn eines Bauern, geboren als Nikolos Pirosmanaschwili, verwaiste früh und arbeitete unter anderem als Hirte, Schaffner, Milchmann, Schildermaler. Sein Leben muss unstet gewesen sein; es gibt ein einziges Foto von ihm, null Dokumente. Gesichert ist: Er malte für Kost und Unterschlupf Tavernen und Geschäftslokale aus. Seine Motive fand er in der Tier- und Märchenwelt seines Landes, in rustikalen Szenen voll bauchiger Weinkrüge (Quevris) und gravitätischer Trinker. Oft malte er auf schwarzem Wachstuch, seine Idyllen wendet das ins Traumhaft-Mysteriöse, manchmal fast Gespenstische; wer will, kann in den Bildern des Künstlers, der Georgien nie verlassen hat, Parallelen zu Malern von Chagall bis de Chirico entdecken.
Gesichert ist, dass seine Bilder, 1913 in Moskau ausgestellt, dort die Avantgardisten beeindruckten; die akademischen Maler seiner Region aber machten sich über ihn lustig. 1918 fand man ihn bewusstlos im Keller eines Hauses, aus dem er zuvor vertrieben worden war; er starb kurz darauf, 56-jährig, an Unterernährung und Leberversagen. Heute nennt man ihn „Rousseau des Ostens“, den es im Westen 100 Jahre nach seinen Tod noch zu entdecken gilt.