Die Schlacht am Boulevard
Der Wiener Zeitungskrieg von 1958 ist Mediengeschichte. Der Wiener Zeitungskrieg von 2018 ist eine politische Wahlvorbereitung.
Es gibt also wieder einen Wiener Zeitungskrieg. Unter diesem Begriff notiert in der Mediengeschichte eine Auseinandersetzung zwischen „Presse“, „Kurier“und „Bild-Telegraph“vor 60 Jahren. Heute noch bekannt sind zentrale Figuren des Konflikts: Fritz Molden, Gerd Bacher und Hans Dichand. Letztlich fochten sie als Stellvertreter für den Machtkampf zwischen ÖVP und SPÖ.
Im aktuellen Wiener Zeitungskrieg hingegen wirkt bloß eine politische Partei involviert und er tobt nur auf dem Boulevard. Hauptakteure: die Gratisgazetten „Österreich“und „Heute“, und die „Kronen Zeitung“mischt mit. Dahinter stecken die Verlegerfamilien Fellner und Dichand. Sie ringen mit Bürgermeister Michael Ludwig um das Millionengeschäftsmodell Gratistageszeitung.
Anlass ist die Beendigung eines zehn Jahre währenden Rechtsstreits zwischen „Österreich“und den Wiener Linien. Letztere gewähren nun der auf „oe24“umgetauften Kost-nix-Postille gleich viele Entnahmeboxen in U-BahnStationen wie dem Konkurrenten „Heute“. Dessen Herausgeberin Eva Dichand ist die Frau von Christoph Dichand, Chef der „Krone“. Beide orten den neuen Bürgermeister als Schlichter in diesem Streit. Also attackieren ihre Organe Ludwig – und feuern Fellners Medien auf die Dichands. Gegenseitige Klagen würzen die Schlacht im Blätterwald.
Kaufzeitungen entsprechen dem Nachfrageprinzip. Gratisblätter hingegen funktionieren per Push-Modell wöchentlich im Briefkasten oder laut Pull-Methode an Werktagen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es gibt keinen Bedarf nach ihnen. Doch wenn sie am Wegesrand größtmögliche Aufmerksamkeit erzielen, werden sie konsumiert. Die Position der Entnahmebox ist dafür entscheidend. Niemand geht einen Umweg für diese Lektüre. Mit Gleichstellung von „oe24“bei den Entnahmeboxen nehmen die Wiener Linien „Heute“den wichtigsten Wettbewerbsvorteil.
Für Restösterreich ist das interessant, weil nicht nur die SPÖ Wien als Big Spender des dortigen Boulevards fungiert. Das vom FPÖ-Strategen Herbert Kickl geführte Innenministerium hat bis Jahresmitte um 1,26 Millionen Euro den Polizeidienst beworben. Drei Viertel davon landeten bei „Österreich“, „Heute“, „Krone“sowie ihren Radio- und Online-Ablegern. Obwohl die Gratisblätter in U-Bahnen immer mehr der SmartphoneNutzung unterliegen. Obwohl die „Krone“in Wien vor zehn Jahren um zwei Drittel mehr Leser hatte. Was hier geschieht, ist nur politisch erklärbar. Es sind Weichenstellungen für die nächste wichtige Wahl in Österreich – 2020 in Wien. Spätestens.