Der Kommunikator im Kanzleramt
Bruno Kreisky, der „beste zweite Mann“, wie er sich selbst beschrieb, wurde zum beliebtesten Bundeskanzler der Zweiten Republik. Ein österreichisches Paradoxon.
Wer Bruno Kreiskys zahlreiche autobiografische Texte und Interviews aufmerksam liest, wird immer wieder auf eine Metapher stoßen: „Ich bin der beste zweite Mann.“Ähnlich wie die prägende intellektuelle Persönlichkeit der Sozialdemokratie nach Ende des Ersten Weltkriegs, Otto Bauer, konnte er sich nicht vorstellen, an der formalen Spitze der Partei zu stehen. Aus Kreiskys Sicht hatten beide – er, Kreisky, und Otto Bauer – den politischen „Nachteil“, jüdischer Herkunft zu sein.
Wenn man die Tradition der Sozialdemokratie in der Zweiten und Ersten Republik berücksichtigt, hätte er eigentlich nie Parteivorsitzender werden dürfen. In der Geschichte der Zweiten Republik hatte ein sozialdemokratischer Exilant (1938–1950) jüdischer Herkunft, ein Intellektueller, der Nadelstreif trägt, in einer Villa im noblen Grinzing im 19. Bezirk Wiens wohnt, eigentlich überhaupt keine Chancen, an die absolute Spitze aufzusteigen. So stark war der Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft verankert.
Bruno Kreisky hatte letztlich Glück, dass der schwierige Bundespräsident Theodor Körner einen politischen Sekretär von Vizekanzler Adolf Schärf zugeordnet bekommen sollte, um die Kommunikation zu verbessern. Die nachfolgende Bestellung Kreiskys zum Staatssekretär 1953 war von Schärf als ein positives Signal an Körner gedacht, der bekanntlich bei Regierungsbildungen eine wichtige Rolle spielen konnte.
Die Zeit als Staatssekretär und Außenminister nützte er bis 1966, um sich national und international einen sehr guten Namen zu machen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit war Bruno Kreisky 1965 bei der Suche nach einem emotional positiv aufgeladenen Nationalfeiertag (der auch nicht an den Zweiten Weltkrieg, Nationalsozialismus oder die Befreiung 1945 erinnern sollte) aktiv. Es war der „Kleinstaatsidentitätsbauer“Kreisky, der den 26. Oktober als Tag der Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes 1955 vor-
schlug und in der Folge als Bundeskanzler diesen symbolischen Erinnerungsort zu einem „schlichten österreichischen Patriotismus“ausbauen konnte.
Seine auch internationalen im standen Zusammenhang immer Aktivitäten mit Österreichs. der Sorge Noch um als die Kleinkind Zukunft hatte er die Tragik des Menschenmordens im Ersten Weltkrieg ebenso wahrgenommen wie 1938 den „Anschluss“und die Folgen, die für ihn ein zentrales Trauma darstellten. Er war ein aktiver Pazifist, der erkannte, dass der Frieden in Europa nur durch eine internatio-
nale Gestaltungsbereitschaft gesichert werden konnte, die die kleine innenpolitische Bühne Österreichs verlassen musste. Dabei war Kreisky mangels realpolitischer Macht kein Akteur oder Mediator, aber ein höchst engagierter und auch erfolgreicher Kommunikator.
Dass Bruno Kreisky es trotzdem geschafft hat, hängt mit der katastrophalen Wahlniederlage des Jahres 1966 zusammen, mit der heftigen Auseinandersetzung, die die SPÖ fast gespalten hätte, um den ehemaligen Innenminister und ÖGB-Präsidenten Franz Olah. Trotz der tiefen Krise in der SPÖ war Kreisky nicht der Kandidat des engeren Zirkels im Parteivorstand um Karl Waldbrunner und den scheidenden Parteivorsitzenden Bruno Pittermann. Er war der Kandidat der Bundesländer und der Minderheiten, der Jungen, der Frauen am Parteitag.
Dass er die österreichischen Wähler 1970 überzeugt hat, ist der zweite Betriebsunfall in der Geschichte der politischen Kultur der Zweiten Republik. Das hängt wohl damit zusammen, dass es ihm gelungen ist, all jene Reformdefizite, die schon die Regierung Klaus in die absolute Mehrheit gebracht hatten, am glaubwürdigsten nicht nur zu benennen, sondern auch zu reduzieren.
Was er perfekt in der Öffentlichkeit über klassische SPÖParteimedien wie die „Arbeiter-Zeitung“weit hinausgehend kommuniziert hat, ist auf der einen Seite ein hoher politischer, theoretischer Anspruch, auf der anderen Seite die Fähigkeit, komplexe politische Vorgänge und Zusammenhänge verdichtet und doch klar zu kommunizieren. Und das dritte und wichtigste Asset war, nach der Analyse sofortiges spür- und sichtbares Handeln anzuschließen. Man sieht dies 1970. Kreiskys Minderheitsregierung agierte wie eine Regierung mit einer absoluten politischen Mehrheit im Hintergrund und wirkte in die Gesellschaft durch eine Reihe von konkreten Maßnahmen.
Kreisky war für viele Wählerinnen und Wähler ein Mann aus einer längst vergangenen Zeit, die es in den 1960er-, 1970er-Jahren nicht mehr gegeben hat.
Er konnte mit allen Bevölkerungsschichten – vom Akademiker bis zum einfachen Arbeiter – gleich gut kommunizieren. Aber nicht nur das: Er hat das gerne und mit großer Leidenschaft gemacht und gab das seinem Gegenüber zu verstehen. Viele Informationen aus diesen Gesprächen wurden dann tatsächlich in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht – in vielen Fällen durchaus zum Guten, in manchen aber auch zum Negativen, wie noch gezeigt werden wird. Kreisky mit dem Telefonhörer in der Hand: Dieses Bild auf dem Cover von „Mann auf Draht“beschreibt ihn eigentlich am besten. Er war tatsächlich fast 24 Stunden am Tag für seine Bürger erreichbar – zumindest theoretisch, immerhin stand seine Telefonnummer tatsächlich im Telefonbuch.
Bruno Kreisky ist ein Betriebsunfall der politischen Kultur der Zweiten Republik, der die politische Kultur in Richtung mehr offener Demokratie erweiterte, für den Ausbau des Wohlfahrtsstaates, mehr Transferleistungen und Vollbeschäftigung um jeden Preis gesorgt hat, aber die Reform der verstaatlichten Industrie verzögert hat. Eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit stand nicht auf seiner Agenda, da er durchaus antisemitische Strömungen fürchtete.
In der Bildungs-, Schul- sowie Universitäts- und Forschungspolitik sind unter den Ministern Hertha Firnberg und Fred Sinowatz durchaus tief greifende Reformen gelungen, ebenso im Justizbereich unter Minister Christian Broda. Es kein Zufall, dass dieser Reformschub der 1970er-Jahre unter Bundeskanzler Kreisky heute selbst außerhalb der Sozialdemokratie anerkannt wird. Sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) nannten bei ihrem Amtsantritt im Dezember 2017 Kreisky als ihr Vorbild.
Lesen Sie morgen: Die 80erJahre – das Ende der Ära Kreisky, der Beginn der Grünen.