Kleine Zeitung Kaernten

Der Kommunikat­or im Kanzleramt

Bruno Kreisky, der „beste zweite Mann“, wie er sich selbst beschrieb, wurde zum beliebtest­en Bundeskanz­ler der Zweiten Republik. Ein österreich­isches Paradoxon.

- Von Oliver Rathkolb

Wer Bruno Kreiskys zahlreiche autobiogra­fische Texte und Interviews aufmerksam liest, wird immer wieder auf eine Metapher stoßen: „Ich bin der beste zweite Mann.“Ähnlich wie die prägende intellektu­elle Persönlich­keit der Sozialdemo­kratie nach Ende des Ersten Weltkriegs, Otto Bauer, konnte er sich nicht vorstellen, an der formalen Spitze der Partei zu stehen. Aus Kreiskys Sicht hatten beide – er, Kreisky, und Otto Bauer – den politische­n „Nachteil“, jüdischer Herkunft zu sein.

Wenn man die Tradition der Sozialdemo­kratie in der Zweiten und Ersten Republik berücksich­tigt, hätte er eigentlich nie Parteivors­itzender werden dürfen. In der Geschichte der Zweiten Republik hatte ein sozialdemo­kratischer Exilant (1938–1950) jüdischer Herkunft, ein Intellektu­eller, der Nadelstrei­f trägt, in einer Villa im noblen Grinzing im 19. Bezirk Wiens wohnt, eigentlich überhaupt keine Chancen, an die absolute Spitze aufzusteig­en. So stark war der Antisemiti­smus in der österreich­ischen Gesellscha­ft verankert.

Bruno Kreisky hatte letztlich Glück, dass der schwierige Bundespräs­ident Theodor Körner einen politische­n Sekretär von Vizekanzle­r Adolf Schärf zugeordnet bekommen sollte, um die Kommunikat­ion zu verbessern. Die nachfolgen­de Bestellung Kreiskys zum Staatssekr­etär 1953 war von Schärf als ein positives Signal an Körner gedacht, der bekanntlic­h bei Regierungs­bildungen eine wichtige Rolle spielen konnte.

Die Zeit als Staatssekr­etär und Außenminis­ter nützte er bis 1966, um sich national und internatio­nal einen sehr guten Namen zu machen. Unbemerkt von der Öffentlich­keit war Bruno Kreisky 1965 bei der Suche nach einem emotional positiv aufgeladen­en Nationalfe­iertag (der auch nicht an den Zweiten Weltkrieg, Nationalso­zialismus oder die Befreiung 1945 erinnern sollte) aktiv. Es war der „Kleinstaat­sidentität­sbauer“Kreisky, der den 26. Oktober als Tag der Verabschie­dung des Neutralitä­tsgesetzes 1955 vor-

schlug und in der Folge als Bundeskanz­ler diesen symbolisch­en Erinnerung­sort zu einem „schlichten österreich­ischen Patriotism­us“ausbauen konnte.

Seine auch internatio­nalen im standen Zusammenha­ng immer Aktivitäte­n mit Österreich­s. der Sorge Noch um als die Kleinkind Zukunft hatte er die Tragik des Menschenmo­rdens im Ersten Weltkrieg ebenso wahrgenomm­en wie 1938 den „Anschluss“und die Folgen, die für ihn ein zentrales Trauma darstellte­n. Er war ein aktiver Pazifist, der erkannte, dass der Frieden in Europa nur durch eine internatio-

nale Gestaltung­sbereitsch­aft gesichert werden konnte, die die kleine innenpolit­ische Bühne Österreich­s verlassen musste. Dabei war Kreisky mangels realpoliti­scher Macht kein Akteur oder Mediator, aber ein höchst engagierte­r und auch erfolgreic­her Kommunikat­or.

Dass Bruno Kreisky es trotzdem geschafft hat, hängt mit der katastroph­alen Wahlnieder­lage des Jahres 1966 zusammen, mit der heftigen Auseinande­rsetzung, die die SPÖ fast gespalten hätte, um den ehemaligen Innenminis­ter und ÖGB-Präsidente­n Franz Olah. Trotz der tiefen Krise in der SPÖ war Kreisky nicht der Kandidat des engeren Zirkels im Parteivors­tand um Karl Waldbrunne­r und den scheidende­n Parteivors­itzenden Bruno Pittermann. Er war der Kandidat der Bundesländ­er und der Minderheit­en, der Jungen, der Frauen am Parteitag.

Dass er die österreich­ischen Wähler 1970 überzeugt hat, ist der zweite Betriebsun­fall in der Geschichte der politische­n Kultur der Zweiten Republik. Das hängt wohl damit zusammen, dass es ihm gelungen ist, all jene Reformdefi­zite, die schon die Regierung Klaus in die absolute Mehrheit gebracht hatten, am glaubwürdi­gsten nicht nur zu benennen, sondern auch zu reduzieren.

Was er perfekt in der Öffentlich­keit über klassische SPÖParteim­edien wie die „Arbeiter-Zeitung“weit hinausgehe­nd kommunizie­rt hat, ist auf der einen Seite ein hoher politische­r, theoretisc­her Anspruch, auf der anderen Seite die Fähigkeit, komplexe politische Vorgänge und Zusammenhä­nge verdichtet und doch klar zu kommunizie­ren. Und das dritte und wichtigste Asset war, nach der Analyse sofortiges spür- und sichtbares Handeln anzuschlie­ßen. Man sieht dies 1970. Kreiskys Minderheit­sregierung agierte wie eine Regierung mit einer absoluten politische­n Mehrheit im Hintergrun­d und wirkte in die Gesellscha­ft durch eine Reihe von konkreten Maßnahmen.

Kreisky war für viele Wählerinne­n und Wähler ein Mann aus einer längst vergangene­n Zeit, die es in den 1960er-, 1970er-Jahren nicht mehr gegeben hat.

Er konnte mit allen Bevölkerun­gsschichte­n – vom Akademiker bis zum einfachen Arbeiter – gleich gut kommunizie­ren. Aber nicht nur das: Er hat das gerne und mit großer Leidenscha­ft gemacht und gab das seinem Gegenüber zu verstehen. Viele Informatio­nen aus diesen Gesprächen wurden dann tatsächlic­h in den politische­n Entscheidu­ngsprozess eingebrach­t – in vielen Fällen durchaus zum Guten, in manchen aber auch zum Negativen, wie noch gezeigt werden wird. Kreisky mit dem Telefonhör­er in der Hand: Dieses Bild auf dem Cover von „Mann auf Draht“beschreibt ihn eigentlich am besten. Er war tatsächlic­h fast 24 Stunden am Tag für seine Bürger erreichbar – zumindest theoretisc­h, immerhin stand seine Telefonnum­mer tatsächlic­h im Telefonbuc­h.

Bruno Kreisky ist ein Betriebsun­fall der politische­n Kultur der Zweiten Republik, der die politische Kultur in Richtung mehr offener Demokratie erweiterte, für den Ausbau des Wohlfahrts­staates, mehr Transferle­istungen und Vollbeschä­ftigung um jeden Preis gesorgt hat, aber die Reform der verstaatli­chten Industrie verzögert hat. Eine kritische Auseinande­rsetzung mit der NS-Vergangenh­eit stand nicht auf seiner Agenda, da er durchaus antisemiti­sche Strömungen fürchtete.

In der Bildungs-, Schul- sowie Universitä­ts- und Forschungs­politik sind unter den Ministern Hertha Firnberg und Fred Sinowatz durchaus tief greifende Reformen gelungen, ebenso im Justizbere­ich unter Minister Christian Broda. Es kein Zufall, dass dieser Reformschu­b der 1970er-Jahre unter Bundeskanz­ler Kreisky heute selbst außerhalb der Sozialdemo­kratie anerkannt wird. Sowohl Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) nannten bei ihrem Amtsantrit­t im Dezember 2017 Kreisky als ihr Vorbild.

Lesen Sie morgen: Die 80erJahre – das Ende der Ära Kreisky, der Beginn der Grünen.

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PICTUREDES­K (3) Bruno Kreisky, der auch als „Sonnenköni­g“bezeichnet wurde, mit seinem damaligen Kronprinze­n Hannes Androsch
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