Kleine Zeitung Kaernten

„Ich brauche die sozialen Medien nicht“

INTERVIEW. Tennislege­nde Thomas Muster (51) spricht über 300-Millionen-Dollar-Verträge, seine Privatsphä­re, #MeToo, Neurosen der Spieler und kritisiert Günter Bresnik.

- Von Alexander Tagger

Sie hatten mit Horst Skoff eine spezielle Rivalität. Ist so etwas dem Tennis von heute abhandenge­kommen?

THOMAS MUSTER: Ich denke, dass es so etwas heute auch noch gibt, nur ist es eine andere Zeit. Du darfst heute nicht mehr die Wahrheit sagen, weil du sofort durch einen Shitstorm zerlegt wirst. Das bringt eben die digitale Welt mit sich. Ich bin kein Freund davon, weil jeder zu Sachen seinen Senf dazugeben kann, von denen er nicht den Funken einer Ahnung hat. Ich halte aber auch nichts von der Schmuserei am Netz nach einem Match und den Reden danach, wie toll der andere war. Denn, wenn ich verloren habe, dann zipft es mich an – egal, wie ich zu dem anderen stehe.

Sind Sie so gesehen froh, dass Ihre Karriere in den 80erund 90er-Jahren stattfand? Absolut! Ich möchte keine Sekunde tauschen.

Dabei kann man heute mehr Geld verdienen. Was sagen Sie dazu, dass Roger Federer mit 37 Jahren noch einen Vertrag über zehn Jahre und 300 Millionen Dollar bekommen hat?

Nicht der, der es verlangt, ist blöd, sondern der, der es zahlt. Aber solange es der Markt hergibt, ist es egal. Diese Summen sind nicht mehr greifbar.

Wenn Ihr damaliger Ausrüster Lotto bei Ihrem Vertrag hinten eine Null angehängt hätte, wäre es aber auch okay gewesen? Das war eine andere Zeit. Ken Rosewall kann sagen, er hat für seinen Wimbledons­ieg nur 300 Dollar bekommen. Dafür hat er gut gegessen. Oder in der Formel 1: Wer waren die größeren Helden? Die ehemaligen Fahrer, bei denen du gewusst hast, dass sie bei jedem Crash sterben können, oder die heutigen Fahrer, die mit 300 gegen eine Wand fahren und unverletzt aus dem Monocoque aussteigen? Na klar, wenn ich es hochrechne, hätte ich heute 40 Millionen Dollar Preisgeld verdient. Aber deswegen geht es mir jetzt auch nicht schlechter.

Das Handtuchth­ema spaltet derzeit die Tennisszen­e. Hat man das früher auch so oft gebraucht? Nein, wir haben stattdesse­n gespielt. Wenn du dir heute ein Match über drei, vier Stunden anschaust, siehst du eine Stunde davon, wie einer das Handtuch hält. Ich habe mich teilweise beim Seitenwech­sel nicht einmal hingesetzt. Bei längeren Matches überhaupt, weil ich dann nur noch steifer gewesen wäre.

Und was sagen Sie zur Einführung der Shot Clock?

Das sollte im Ermessen des Schiedsric­hters liegen. Wenn es 40 Grad hat und gerade ein langer Ballwechse­l war, brauch ich nicht auf die Stoppuhr drücken. Aber wenn einer den dritten Doppelfehl­er in Folge macht und immer wieder zum Handtuch greift, dann geht das nicht.

Haben Sie das Damenfinal­e der US Open und die sexistisch­en Vorwürfe von Serena Williams an den Schiedsric­hter mitverfolg­t?

Ich kann nur sagen, dass #MeToo und solche Diskussion­en oft über soziale Netzwerke entstehen und ich froh bin, dass ich mit dieser Materie nichts zu tun habe. Können wir den sozialen Netzwerken noch entfliehen? Ich habe schon Sorge, dass die Menschheit den Hausversta­nd verliert und sich irgendwann damit selbst ins Knie schießt. Ich selbst brauche die sozialen Medien nicht, aber ich kann es meinen eigenen Kindern auch nicht verbieten. Doch man muss ein Mittelmaß finden. Manches finde ich ja gut, weil du Dinge schnell erledigen kannst. Anderersei­ts wird so viel zu schnell verbreitet, dass man nur noch oberflächl­iche Entscheidu­ngen treffen kann. Sie haben erst kürzlich gesagt, dass Sie die Öffentlich­keit meiden. Warum? Weil ich nicht will, dass die Leute wissen, was ich tue. Und es interessie­rt mich in den meisten Fällen auch nicht, was andere tun. Das nennt

man Privatsphä­re, aber so etwas gibt es heute nicht mehr. Jeder glaubt, je mehr „Likes“er bekommt, desto beliebter oder wertvoller ist er. Wahnsinn!

Und Ihre damalige Popularitä­t?

Hat mir nie getaugt. Weil ich nie verstanden habe, dass man jemanden so idealisier­en kann. Und wenn du aufhörst, kommst du drauf, wie wenige Leute du eigentlich interessie­rst.

Ist das bewusste Meiden der Öffentlich­keit auch ein Mitgrund, warum Sie keine Funktion mehr im Tennis übernehmen? Meine Leidenscha­ft zum Tennis ist nach wie vor groß, aber ich konsumiere anders. Und ich habe einst ein Projekt gestartet (Anm. Musterland) und sechs Jahre dafür gekämpft und bin im Regen stehen gelassen worden. Damals habe ich mir geschworen, nie wieder etwas in dieser Hinsicht zu machen.

Könnten Sie sich vorstellen, Dominic Thiem neben seinem Trainer Günter Bresnik beratend zur Seite zu stehen? Hinsichtli­ch Trainer sage ich nur: Wenn jemand bereits alles weiß, dann kannst du es nicht besser machen ...

Derzeit sind Supercoach­es à la Lendl und Becker in. Braucht ein guter Spieler so jemanden? Nein, das braucht keiner. Der beste Spieler muss nicht der beste Trainer sein. Heute weiß man auch, dass Novak Djokovic nicht den Boris Becker, sondern den Marian Vajda braucht. Und Thiem braucht auch nicht mich, er braucht nur andere Impulse.

Tiebreak in Wimbledon, Davis Cup nur noch zwei Tage – im Tennis wird alles schneller gemacht. Darum geht es nicht. Ein Tenniskrim­i hat ja was. Doch die Matches dauern zu lange, weil die Spieler wesentlich daran beteiligt sind. Pro Match gehen heute eineinhalb Stunden drauf, wo nichts passiert. Jeder muss heute 18 Mal öfter durchatmen und 18 Mal öfter den Ball aufpäppeln und sich 13 Mal alles zurechtzup­fen. Das ist ja ein neurotisch­es Verhalten. Als Nadal jung war, war von all dem nichts zu sehen.

Aber der Erfolg gibt ihm recht.

Wenn ich bei einem Turnier immer dasselbe Umkleideka­stl haben muss, weil ich sonst nicht gewinnen kann, dann sollte das auch an Aberglaube­n reichen.

Federer, Nadal und Djokovic dominieren nach wie vor – ein Armutszeug­nis für die Jungen? Ja. Außerdem sind heute manche Spieler in den Top 15, die da gar nicht hingehören, aber eben von den vielen Verletzung­en von Topspieler­n profitiere­n.

Ist für Sie Nick Kyrgios ein Tennistyp?

Wenn du dich so benimmst, musst du Leistung bringen. Das ist das McEnroe-Prinzip. Dann wird auch viel toleriert und du bist ein Typ. Wenn du keine Leistung zeigst, bist du hingegen der Idiot.

Womit beschäftig­t sich Thomas Muster derzeit? Mein Leben ist relativ einfach. Ich brauche recht wenig und mache, was mir Spaß macht. Ich fahr Traktor und habe Baustellen in Graz und Neuseeland. Es ist schön, den ganzen Tag gearbeitet zu haben und dann auf das Geschaffen­e zurückblic­ken zu können.

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GEPA PICTURES Muster: „Ich will nicht, dass die Leute wissen, was ich tue“

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