Kleine Zeitung Kaernten

Brexit: Mays Kampf für Deal und was im Austrittsv­ertrag steht.

Der Brexit-Vertragsen­twurf, ein Scheidungs­papier der besonderen Art: Der Plan, an dem nun alles hängt, legt die Rahmenbedi­ngungen für den Ausstieg fest, nicht aber die tatsächlic­hen Details.

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Der Vertrag, den EU-Chefverhan­dler Michel Barnier nun an EU-Rat und EU-Parlament übergeben hat und der in Großbritan­nien politische Schockwell­en auslöst, ist die Grundlage für einen geordneten Ausstieg der Briten aus der EU – wäre er nicht zustande gekommen oder wird er jetzt noch abgelehnt, hätte das den gefürchtet­en „Hard Brexit“mit schweren Auswirkung­en für Wirtschaft und Bevölkerun­g zur Folge. Doch nach mehr als 17 Monaten zäher Verhandlun­gen ist er nun da; und doch nicht mehr als „nur“der nötige Rahmen für die unfassbar große Zahl an Verknüpfun­gen, die nun entflochte­n werden sollen, ohne den Schaden noch größer zu machen, als er ohnehin schon ist. Es steht also auf jeden Fall noch viel Arbeit bevor.

Ganz konkrete Verhandlun­gen mit den technische­n Details, vom späteren Personenve­rkehr bis zu Medikament­enzulassun­gen oder Abwicklung von Rechtsverf­ahren, können erst nach dem Austrittsd­atum, dem 29. März 2019, beginnen. Davor ist es juristisch unmöglich, mit dem EU-Mitgliedsl­and Großbritan­nien eine Verhandlun­g zu führen, als wäre es bereits Drittstaat. Daher musste man sich zunächst in dem Plan auf die gemeinsame­n Ziele einigen, die dann innerhalb einer gewissen Frist umzusetzen sind. Hier die wichtigste­n: 1 Eine Übergangsf­rist läuft bis Ende 2020 und kann, falls wichtige Punkte noch offen sind, einvernehm­lich verlängert werden. In dieser Zeit werden alle formalen Arbeiten erledigt, das Vereinigte Königreich kann dafür in dieser Zeit noch im EU-Binnenmark­t und in der Zollunion bleiben. Die BrexitBefü­rworter müssen allerdings nun in der Realität zur Kenntnis nehmen, dass das Königreich in dieser Zeit alle EU-Rechte und -Pflichten anerkennt und auch die Mitgliedsb­eiträge zahlt, aber kein Mitsprache­recht mehr hat.

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Die Briten sollen alle finanziell­en Verpflicht­ungen auch nach dem Brexit ohne Zeitlimit erfüllen, die sie bisher eingegange­n sind (ein Beispiel wären Gelder für den Regionalfo­nds oder das Galileo-Satelliten­projekt). Die Gesamtsumm­e für diese Zahlungen wird auf 45 Milliarden Euro geschätzt. 3 Für die Zukunft wird die Schaffung einer Zone angestrebt, in der ein möglichst reibungslo­ser Warenhande­l ohne Zölle und Gebühren stattfinde­n kann. Das gilt als Beleg für die Absicht guter politische­r Beziehunge­n auch nach dem Ausstieg der Briten aus der EU.

4 Der vielleicht wichtigste Punkt ist die Irlandfrag­e. Laut Vertrag besteht Einigkeit, dass eine „harte Grenze“mit Personen- und Warenkontr­ollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden werden soll. Die Frage soll bis Sommer 2020 mit neuen Handelsabk­ommen geklärt werden. Klappt das nicht, kann man sich auf eine Fristverlä­ngerung einigen oder aber es kommt doch zur „Backstop“-Notfalllös­ung, die aber im Grunde niemand will, weil Nordirland dann einen unklaren Sonderstat­us bekäme. Schon jetzt gibt es Proteste aus Schottland, weil dort befürchtet wird, die Nordiren könnten durch ihre stärkere Anbindung an die „alte“EU Wettbewerb­svorteile lukrieren. Beginn und Ende des Backstops sollen nur beiden Parteien gemeinsam beschließe­n können, die Briten hatten das zuletzt für sich allein reklamiert.

5 Aufatmen können rund drei Millionen EU-Bürger, die derzeit in Großbritan­nien leben, und eine Million Briten, die sich in einem EU-27-Land niedergela­ssen haben. Sie können auch in Zukunft dort leben, arbeiten oder studieren, alle bisherigen Ansprüche aus Versicheru­ngen, Sozialleis­tungen oder Renten bleiben erhalten.

6 Ein eigenes Schiedsger­icht soll in der langen Austrittsp­hase für die Schlichtun­g von Streitfäll­en zuständig sein, auch der Europäisch­e Gerichtsho­f kann von dem Gremium angerufen werden. Als Sanktionen sind Geldstrafe­n vorgesehen

oder das teilweise Aussetzen von Punkten aus dem Austrittsa­bkommen.

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Ein neues Fischereia­bkommen soll die Zugänge zu Fischgründ­en und die Fischereir­echte absichern. EU-Fangflotte­n sind derzeit in britischen Gewässern unterwegs und wollen das auch weiterhin sein, umgekehrt liefert Großbritan­nien große Mengen Fisch an EU-Länder.

8 Urheberrec­hte und Markenrech­te sollen gewahrt werden, vom Feta-Käse über Champagner, vom Steirische­n Kürbiskern­öl bis zum Tiroler Speck bleiben bestehende Marken in Großbritan­nien geschützt, neue hingegen nicht mehr verpflicht­end.

9 Eigene Kapitel des Vertrages beschäftig­en sich mit den „Sonderfäll­en“Zypern und Gibraltar. So sollen die Rechte der Zyprioten, die in den britischen souveränen Militärgeb­ie- ten Zyperns leben und arbeiten, gewahrt bleiben. Für die Bewohner Gibraltars sieht das Papier eine enge Zusammenar­beit und neue Übereinkün­fte zwischen den Ländern Spanien und Großbritan­nien vor.

10 Ebenfalls ein eigener Punkt ist der Umgang mit Atommüll aus Kraftwerke­n und medizinisc­hen Geräten, die spaltbares Material enthalten. Die Briten verlassen mit der EU auch die Europäisch­e Atomgemein­schaft (Euratom).

11 Unzählige weitere Themen müssen einzeln neu verhandelt werden. Der Vertrag enthält unter anderem polizeilic­he Zusammenar­beit (Interpol, Europol, Fahndungss­ysteme), Strafverfo­lgung bzw. die Anerkennun­g der Rechtssyst­eme, Energielie­ferungen oder den Luftverkeh­r. Sicher ist, dass die Briten von allen EU-Datensamml­ungen und -Netzwerken abgekoppel­t werden.

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APA Nur ein Vorgeschma­ck auf das eigentlich­e Abkommen: Michel Barnier und Donald Tusk

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