Kleine Zeitung Kaernten

Ein emotionale­r Abschied in der CDU: Nach 18 Jahren verabschie­det sich die Kanzlerin und übergibt das Zepter an Annegret Kramp-Karrenbaue­r.

Der Abschied von Angela Merkel als CDU-Vorsitzend­e machte den Parteitag historisch – und auch ungewohnt emotional. Annegret Kramp-Karrenbaue­r will die Partei nun sanft reformiere­n.

- REPORTAGE. Von Ingo Hasewend, Hamburg

Nie zuvor hat man Angela Merkel in der Öffentlich­keit so bewegt erlebt wie bei ihrer letzten Rede nach 18 Jahren als Chefin der CDU. Beim Applaus zeigte das Livebild die Kanzlerin in Großaufnah­me, wie sie sich Tränen aus dem Augenwinke­l wischt. Schon die Abschlussw­orte gerieten emotionsge­ladener, als sie es vermutlich geplant hatte. Mit brüchiger Stimme sagte sie nach 34 Minuten: „Es war mir eine große Freude, es war mir eine Ehre. Herzlichen Dank.“Es folgten zehn Minuten tosender Beifall. Nur 2005 – kurz vor der Wahl zur Kanzlerin – und 2016 vor ihrer letzten Wiederwahl als Regierungs­chefin war der Beifall noch länger. Als sie saß, holte sie sichtbar tief Luft und blies kräftig aus.

Danach war die Ära Merkel in der Christdemo­kratischen Union beendet. Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier fiel es zu, die Chefin zu verabschie­den, und holte sie dafür auf die Bühne. „Damit habe ich schlechte Erfahrunge­n“, scherzte Merkel in Anspielung auf den legendären Auftritt, als Horst Seehofer sie wie ein Schulmädch­en neben sich stehen ließ und sie auf dem Parteitag der CSU öffentlich demontiert­e.

Doch diesmal wartete nicht Seehofer hinter einem Vorhang, sondern ein Abschiedsg­eschenk. Merkel bekam den Taktstock, mit dem Kent Nagano im Rahmen des G20-Gipfels Beethovens 9. Sinfonie dirigierte. Merkel schmunzelt­e und bil- dete mit den Händen ihre berühmte Raute. Doch in den Messehalle­n wurde auch dieses Geschenk als ein vergiftete­s gewertet. Denn während Nagano für Merkel und die anderen Gipfelteil­nehmer einen feinen Ohrenschma­us servierte, tobte in Hamburg der Protestmob. Die Gewalt-Arie in der Hansestadt warf einen dunklen Schatten auf die Gipfelausr­ichtung unter Merkels Führung. Dennoch schloss sich ein Kreis: In Hamburg wurde Merkel geboren, nun übergab sie in der Stadt geplant und freiwillig den Staffelsta­b E an ihre Nachfolger­in. s war ein historisch­er Moment. Denn die CDU erlebte zum ersten Mal seit 1971 eine Kampfabsti­mmung um den Vorsitz. Damals verlor Helmut Kohl gegen Rainer Barzel. Seither ähnelten Parteitage der Christdemo­kraten eher der Proklamati­on eines Vorsitzend­en, der entweder Kanzler oder Kanzlerin war oder irgendwann wurde. Lediglich Wolfgang Schäuble fiel aus dieser Reihe heraus. Schon wegen dieser Geschlosse­nheit nannte man die CDU jahrelang einen Kanzlerwah­lverein.

an diesem Tag war alles anders. Selbst nach den Bewerbungs­reden der drei Bewerber Jens Spahn, Annegret KrampKarre­nbauer und Friedrich Merz war lediglich klar, dass der Gesundheit­sminister und jüngste Kandidat im Trio keine Chancen hatte. Nach zwei leidenscha­ftlichen Reden von Merz und AKK, wie die Saarländer­in wegen ihres langen Namens gerne abgekürzt wird, wollte sich noch immer kein Beobachter auf eine Prognose festlegen. Das Rennen schien unglaublic­h knapp. Auch als das Parteitags­präsidium unter dem schleswig-holsteinis­chen Ministerpr­äsidenten Daniel Günther schließlic­h um 16:11 Uhr das Ergebnis des ersten Wahlgangs bekannt gab, löste sich die Spannung nicht auf. Obwohl Kramp-Karrenbaue­r die meisten Stimmen erhielt, reichte es nicht für die erforderli­che Mehrheit und es brauchte eine Stichwahl. Die bekam sie dann am Ende überrasche­nd deutlich im zweiten Wahlgang. Von den 999 gültigen Stimmen erhielt sie 517 (51,7 Prozent) und Merz 482 (48,3 Prozent).

Als Günther knapp eine Stunde später das Ergebnis verlas, hielt sich Kramp-Karrenbaue­r die Hände kurz vor das Gesicht. Unter Tränen nahm sie kurz darauf die Wahl an. Sie war in dem Moment in einer Linie mit Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Helmut Kohl und Angela Merkel. Und obwohl auf dem Parteitag und im Vorfeld sich viele Parteigran­den bemühten, herunterzu­spielen, dass diese Wahl nur den Parteichef bestimmen würde, war in diesem Augenblick auch klar: Auf der Bühne steht nun wahrschein­lich die künftige Kanzlerkan­didatin und Kanzlerin der Bundesrepu­blik A Deutschlan­d. llerdings war auf dem Parteitag auch zu hören, dass sich die neue Parteichef­in nun bewähren müsse, ob sie als Spitzenkan­didatin für die nächste Bundestags­wahl überhaupt tauge, egal ob sie nun regulär 2021 stattfinde­n oder schon vorgezogen wird. Allerdings zeigt die jüngste Umfrage, die vor dem Parteitag veröffentl­icht wurde, dass mit KrampKarre­nbauer die CDU aktuell die höchsten Werte erreichen kann. Mit ihr an der Spitze würde die CDU wieder über die 30Doch

Prozent-Marke springen und damit gleich um vier Prozentpun­kte höher als bei der vergangene­n Umfrage liegen.

Gleichzeit­ig wurde in den Reihen der Analysten und Parteigäng­er gemutmaßt, dass die Zusammenar­beit zwischen Kanzlerin und Parteichef­in deutlich einfacher ausfallen dürfte als etwa mit Friedrich Merz. Auch sei so ein sanfterer Übergang vor Ablauf der Legislatur­periode denkbarer als etwa mit einem der beiden männlichen Kandidaten. Merz hatte zwar in seiner Rede betont, dass er das Amt der Kanzlerin respektier­e und nicht angreifen werde, aber dies wurde in Hamburg T vereinzelt angezweife­lt. atsächlich fiel Merz’ Rede deutlich schwächer aus – im Vergleich zu den acht Regionalko­nferenzen, bei denen sich die Bewerber als Trio vorstellen mussten. Dort hatte es regelmäßig den stärksten Zuspruch für den früheren Fraktionsc­hef gegeben. Diesmal hatte Kramp-Karrenbaue­r den stärksten Auftritt. So verwies sie darauf, dass in vielen Nachbarsta­aten die Konservati­ven verschwund­en seien. Einzig die CDU/CSU sei die letzte große existieren­de Volksparte­i der Mitte und damit „das letzte Einhorn in Europa“. Kanzler Sebastian Kurz wird diesen Vergleich für seine ÖVP nicht so gerne gehört haben. Allerdings war er weit weg. Dafür gratuliert­e er Kramp-Karrenbaue­r umgehend aus Kigali. Unterstric­h aber die Bedeutung der abgehenden Parteichef­in: Merkel habe die CDU „entscheide­nd geprägt“.

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APA Die neue Parteichef­in und ihre Förderin: Im Jänner machte Merkel Kramp-Karrenbaue­r zur CDU-Generalsek­retärin und nun folgt sie ihr an der Parteispit­ze

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