Brexit-Poker geht weiter. Britische Premierministerin May feilt um jede Formulierung, aber EU will hart bleiben.
ANALYSE. Die Lage von Premierministerin May ist aussichtslos. Sie hat eine Brexit-Blitz-Tour gemacht, die schon vorab als aussichtslos galt. Daheim beginnt sie die letzten Loyalisten und den Respekt zu verlieren.
Theresa Mays Lage ist aussichtslos geworden. Schon zu Beginn ihrer EU-Blitztour hat Kommissionschef JeanClaude Juncker verkündet, dass es „überhaupt keinen Spielraum“für weitere Verhandlungen gibt. May selbst hatte dem britischen Unterhaus am Montag erklärt, dass sie mehr Zeit brauche, um „Zusicherungen“aus Europa einzuholen. Dabei wusste die Premierministerin zu dem Zeitpunkt schon, dass mehr als ein paar freundliche Floskeln bei ihrem Trip oder beim kommenden EU-Gipfel nicht herausspringen würden. Dass ihre Kritiker aber auf kompletter Neuverhandlung des Austrittsvertrags mit der EU bestanden und nur etwas akzeptieren würden, was zu erreichen ganz unmöglich war.
Viel gewann May so nicht mit ihrer dramatischen Verschiebung des lang überfälligen Parlamentsentscheids diese Woche. Offensichtlich mochte sie nicht in die Geschichte eingehen als die Regierungschefin, die eine Abstimmung von solcher Bedeutung auf so spektakuläre Weise verlor. Statt sich aber neuen Spielraum zu verschaffen, büßte sie auch im eigenen Lager nur weiter an Ansehen und Autorität ein. Von den Frontseiten der Toryfreundlichen Presse schlugen ihr am Dienstag grelle Schuldsprüche entgegen. „Feig“habe sich verhalten, und nun „krieche“sie zur EU.
Auf den Gesichtern ihrer Anhänger zeichnete sich pure Verzweiflung ab. Eine Kehrtwende dieser Art, noch dazu ohne Hoffnung auf eine bessere Perspektive, konnten ihr vor allem die nicht vergeben, denen sie sich zwei Jahre lang als neue Eiserne Lady präsentiert hatte.
Aber auch auf der Gegenseite, bei den Pro-Europäern, löste ihr Ausweichmanöver bitteres Ressentiment aus. All die britischen Politiker, die längst Alternativpläne schmieden, hatten gehofft, dass eine klare Niederlage des May-Deals endlich die Tür zur neuen Diskussion öffnen würde. Ein Zusatzantrag, der geplant war, sollte die Regierung gleich auch von jeglicher Idee eines Austritts ohne Deal (dem „Sprung von den Klippen“) abbringen. Die Hoffnung war, May in Kürze wieder im Unterhaus zu sehen mit einem neuen Plan entweder für eine „sanfte“Landung beim Brexit oder für eine Volksabstimmung. I ndem sie dem Parlament in typisch eigenmächtiger Art diesen Weg verstellte, ohne ein Datum anzugeben für die Fortsetzung des unterbrochenen Entscheidungsprozesses, verschob May die dringend nötige Brexit-Abklärung weiter in Richtung Austrittsdatum. Das birgt neue Gefahren. Womög- lich, argwöhnen nun viele Abgeordnete, wolle sie dem Unterhaus am Ende nur die Wahl zwischen ihrem Deal oder keinem Deal lassen, es also praktisch vor vollendete Tatsachen stellen. Auf jeden Fall müssen, je näher der Exit rückt, auf allen Seiten Vorbereitungen für den Notfall getroffen werden. Darum führt nun nichts mehr herum.
In der Tat hat May eine verhängnisvolle Rolle gespielt in diesem Brexit-Prozess – und scheint nicht bereit, das Spiel aufzugeben. Sollte sie durch sinnloses Lavieren den ToryHardlinern eine Chance zu ihrem Sturz geboten haben, könnte das ernste Folgen zeitigen. Eine Reihe von Rivalen steht bereit, um Großbritannien auf rabiateste Weise aus einer Union zu reißen, mit der es nach B Jahrzehnten eng verflochten ist. ei einem Misstrauensantrag gegen May könnte sich May eines Sieges über ihre Kritiker mittlerweile nicht mehr sicher sein. Käme es zum Nachfolgekampf, würden sich die Bewerber mit Sicherheit an EU-Feindseligkeit zu überbieten suchen. Denn der Garde gescheiterter Minister um Boris Johnson ist völlig gleichgültig, was für Folgen ein „No Deal“-Abgang für den Frieden in Nordirland hätte – oder, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, für das gesamte Vereisie nigte Königreich. Unglücklicherweise hat May diesen Hardlinern den Weg bereits geebnet, mit ihrer Obsession gegen europäische Freizügigkeit, die ihr immer den Blick auf Kompromisse mit der EU verstellte. Mit ihrem ewigen Spruch „Besser gar kein Deal als ein schlechter“hat sie ihnen außerdem die perfekte Parole geliefert, wie sich jetzt zeigt.
Nun, da die meisten Briten
Mays Deal als schlechten einstufen, bestehen bedenkenlose Brexiteers darauf, mit der völligen Ablehnung ganz in ihrem Geist zu handeln. Dagegen kann sie sich umso weniger wehren, je mehr ihre Autorität schwindet. So sehr moderate Sprecher aller Parteien beteuern, dass sie keine „No Deal“-Situation zulassen wollen, so ungewiss ist die Lage inzwischen – nicht zuletzt dank May.
Wir haben gesagt,
dass es keine weitere Öffnung
des Austrittsabkommens gibt. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erteilte Nachverhandlungen eine Absage