„Blümchen zeichnen alleine genügt mir nicht“
INTERVIEW. Hans Gerhard Kalian über den Leidensweg, der hinter seinem neuen Fastentuch steckt, seine Pläne für den Weltfrauentag 2020 und Kinder als kritisches Publikum.
Man kennt Sie als Texter und Illustrator von Kinderbüchern, als Grafiker, der für Weltmarken wie Adidas und Philips arbeitete – und nun als Künstler, der den Hochaltar der Kirche in St. Johann im Rosental verhüllt. Was treibt Sie an?
HANS GERHARD KALIAN: Ich glaube, der Schöpfungsakt ist jedem von uns inne. Man will produzieren, etwas erschaffen.
Davor, sich an einer alten Kunst wie einem Fastentuch zu versuchen, hatten Sie keine Scheu?
Das Sakrale hat mich schon als HTL-Schüler in Linz begeistert, meine Professoren haben viel für die Kirche gearbeitet, vielleicht blieb da schon etwas hängen. Später kam ich dann zur Carinthia, da gab es immer wieder Schnittstellen. Und als ich in Maria Saal ein Haus baute, arbeitete ich ehrenamtlich am Kirchenblatt mit. Das war sozusagen mein Einstieg. Vor 17 Jahren zog ich schließlich nach Kirschentheuer. Im Rahmen der Errichtung eines Bildstockes bat mich die Dorfgemeinschaft um eine künstlerische Ausgestaltung, damit wuchs ich immer mehr in das Genre der sakralen Bildgestaltung. Weiters schuf ich im Jahr 2015 die Kunstinstallation „sichtbar“im Klagenfurter Dom. Später kam dann ein erstes Fastentuch in Kappel dazu und nun dieses.
Der Titel des Werkes ist doppeldeutig. „Veronika“war einerseits die Frau, die Jesu auf dem Weg nach Golgatha das Schweißtuch gereicht hat, andererseits auch der Name Ihrer Mutter.
Einer Frau, die auch einen Leidensweg hatte. Das wollte ich
mit diesem Tuch auch aufzeigen. Nicht nur Jesus hatte sein Martyrium. Meine Mutter litt an Depressionen, formulierte ihren Todeswunsch sehr deutlich und ist dann in den letzten Jahren auch zusehends verfallen. Eine Spur dieses Leids, das auf der Welt herrscht, wollte ich einfangen.
Diesen Satz kennt man von Ihrer Aktion „Martyre femme“. Vor zwei Jahren sorgten Sie mit einem riesigen Banner einer gekreuzigten Frau in der Kirche St. Egid in Klagenfurt für Aufsehen.
Da wurde leider viel absichtlich missverstanden. Mir ging es nie um Blasphemie, wie man es behauptete. Ich wollte mit dieser Aktion den Missbrauch der Frauen durch die Männer darstellen, aufzeigen. Die Vergewaltigungen, Beschneidungen, Unterdrückung und Versklavung ausgesetzt sind, bis hin zu ihrer Ermordung – ein Pendant zu den Fastentüchern, die den Leidensweg Christi nachzeichnen.
Man merkt, das Thema arbeitet noch in Ihnen.
Und ich am Thema. Ich habe nun aus diesem Gedanken einen weiblichen Kreuzweg in 14 Stationen geschaffen.
Wann wird er zu sehen sein?
Wenn es so läuft, wie geplant, am kommenden 8. März in Berlin. Dort hat man diesen Tag, den Weltfrauentag, zum Feiertag gemacht. Aktuell bin ich dabei, mit dem Frauenministerium in Berlin Kontakt aufzunehmen.
Muss Kunst Ihrer Meinung nach immer verstören? Sie könnten es sich ja auch leichter machen und mit einer charmanten Kinderbuchfigur gutes Geld verdienen?
Geld ist aber nicht alles. Kunst hat eine Aufgabe – egal ob man von der Literatur, der darstellenden Kunst oder von der Musik redet. Sie muss aufzeigen, manchmal Menschen vor den Kopf stoßen. Blümchen zeichnen ist nicht meins. In einer Zeit, in der Empathie schwindet, die Menschen immer mehr abstumpfen, muss man auch Gefühle zulassen. Natürlich brauchen viele einen Schutzmechanismus, sonst würden sie bei allem Leid der Welt wahnsinnig werden. Aber wo kommen wir hin, wenn es nur mehr die optimierten Menschen ohne Schmerz gibt? Und so nebenbei: Kinderbücher sind auch harte Arbeit.
Weil Kinder die härtesten Kritiker sind?
(lacht) Das vielleicht auch, aber eher weil es ein sehr mühevolles Geschäft ist.
Müht verstörende Kunst, wie Sie sie oft machen, da nicht im gleichen Maß?
Bestimmt, aber auch anders. Man kann Schmerz auch in die Arbeit hineindrangsalieren. Das Antlitz Jesu, das ich für das Fastentuch gezeichnet habe, besteht aus Hunderten Strichen, ganz im Stil alter Meister, aber es ging mir unglaublich leicht von der Hand. Eine kunstsinnige Frau schrieb mir: „Im Gesicht Jesu sieht man nicht nur das Leid, es drückt auch die Güte aus, die der heilsame Aspekt von Jesus ist.“Mehr kann man mit einem Bild nicht bezwecken wollen.