Erst wenn nichts mehr geht
Ob Datenskandale oder die Rolle bei Wahlen: Regelmäßig ist Facebook in den Schlagzeilen. Den gestrigen Störfall können wir nutzen, um unser digitales Ich zu hinterfragen.
Wären die Zuckerberg’schen Netzwerke ein Land und deren Nutzer seine Einwohner – China, Indien, Brasilien oder die USA könnten einpacken. Mit 2,7 Milliarden Bewohnern würde die Supernation (bestehend aus Facebook, Instagram und WhatsApp) etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ausmachen. Sie hätte einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, wäre tonangebend in der Weltwirtschaft und wohl auch die größte Militärmacht. Wie es um die Steuern oder Grundrechte in diesem Staat stünde, soll hier nicht weiter erörtert werden.
Zu Recht ist der FacebookKonzern ständig in den Schlagzeilen. Es geht um Datenskandale, Diskussionen um die Privatsphäre, Steuervermeidung oder der starke Einfluss auf politische Systeme und Wahlen. Doch nichts von all dem führt uns so klar vor Augen, wie viel Macht wir dem Online-Riesen geben, wie das plötzliche Fehlen seiner Dienste.
Erst wenn nichts mehr geht, haben wir die Chance, zu begreifen, wie abhängig wir uns gemacht haben. Und zwar freiwillig, weil die Services halt doch
sehr nützlich sind. Auch wenn es wenige zugeben wollen, die Annehmlichkeiten, die wir kostenlos (im Sinne von kein Geld dafür bezahlen) in Anspruch nehmen, sind einfach praktisch: Wir werden an Geburtstage erinnert, schicken unseren Liebsten Schnappschüsse aus dem Urlaub, wissen, welche Bands bald in der Nähe auftreten und erfahren in den Insta-Stories, was unsere Freunde gerade so treiben.
In der Familiengruppe auf WhatsApp bekommt man ein bisschen Heimat mit und, seien wir uns ehrlich – wir freuen uns auch über das eine oder andere Like auf unserem Profil. Auch wenn viele die Authentizität der Onlinewelt – teilweise zu Recht – kritisieren, die Kommunikation ist niederschwelliger geworden, und zumindest dieser Aspekt ist gut.
Doch all diese Annehmlichkeiten sollten uns auch zu denken geben. Der gestrige SocialMedia-Ausfall war die perfekte Gelegenheit dazu. Gelegenheit, ein paar Fragen zu stellen: Wollen wir wirklich unser OnlineIch einem einzigen Konzern überlassen, obwohl es genügend Alternativen gibt?
Ein erfahrener Broker würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er hören würde, man setze alles auf eine einzige Aktie. Stichwort Diversifikation, also Streuung von Risiko. Auch wenn es zu bezweifeln ist, dass ein Konzern wie Facebook inhärent böse Absichten hat, kann es nicht sinnvoll sein, sich ihm völlig auszuliefern.
Finden Sie es in Ordnung, dass ein undurchschaubarer Algorithmus bestimmt, welche Nachrichten Sie sehen (Stichwort Filterblase)? Ist es okay, dass selbst Kleinbetriebe teilweise nicht ohne eine dem Algorithmus vorauseilende SocialMedia-Strategie auskommen? Auch Zeitungen können nicht mehr auf Instagram, Facebook und WhatsApp verzichten.
Doch wie es bei Abhängigkeiten nun mal so ist, man gerät leichter in sie herein, als sie wieder loszuwerden.