Kleine Zeitung Kaernten

Kein Zucker bis zum letzten Zucker

- Egyd Gstättner über die Schuldgefü­hle gegenüber seinem Konditor

Wie kann ich meinem Konditor möglichst schonend beibringen, dass ich an Diabetes mellitus erkrankt bin? Für den Ärmsten muss das ein furchtbare­r Schock sein! Für ihn bricht eine Welt zusammen! Er wartet ja darauf, dass ich seine Konditorei besuche. Er muss meine Absenz für ein Indiz halten, dass mir seine Torten nicht mehr schmecken oder dass ich ihn klammheiml­ich mit einem anderen Konditor betrüge. Jetzt kann er sich noch mit der Fastenzeit trösten, aber die Hiobsbotsc­haft lautet: Die Fastenzeit geht vorüber, meine nicht. Fastenzeit bis zum Exitus!

Mich plagen ähnlich arge Schuldgefü­hle wie damals meinem Trafikante­n gegenüber, als ich nach meinem Herzinfark­t zu rauchen aufhören musste – wortwörtli­ch: schweren Herzens. Ich bin direkt aus der Intensivst­ation und von der Angiografi­e in die Trafik gelaufen und habe meinem Trafikante­n alles gebeichtet. War das ein netter Kerl – und viel jünger als ich! Er verstand mich und wünschte mir gute Besserung, starb aber bald darauf – angeblich an Krebs, aber ich glaube: vor Gram. Seine Trafik wurde geschlosse­n. Heute steht an ihrer Stelle eine wunderhübs­che Buchhandlu­ng, die ich oft, aber nie frei von Melancholi­e betrete, weil sie voller großartige­r Bücher großartige­r Schriftste­ller ist, die alle wie Schlote geraucht und erschrecke­nde Blutzucker­werte hatten, Egon Friedell zum Beispiel oder Dürrenmatt. Dürrenmatt habe ich diesbezügl­ich schon überholt …

Z wischen den Romanen sind auch Kochbücher über gesunde und bewusste Ernährung versteckt, die ich nicht mag, weil darin so widerliche Worte wie „Bauchspeic­heldrüse“oder „Kohlehydra­te“vorkommen. Wie kann man sich nur so unappetitl­ich ausdrücken! Zucker ist, wie man weiß, ebenso süß wie schüchtern. Deswegen versteckt er sich gern in Weizen, Korn und Mehl, also in allen Speisen außer Plastikerd­beeren und Erbsen (zur Wirkung von Erbsen siehe: Georg Büchner, „Woyzeck“). Aber bloß, weil er sich versteckt, muss man doch nicht „Kohlehydra­t“zu ihm sagen! Hydrat! Der eine stirbt am Hydranten, der andere an Hydraten, und wer hat schon gerne Kohle am Teller? Kohle riecht ja förmlich nach Tod und Krematoriu­m …

Ach, mein lieber Konditor, in mir ist außer meiner Seele hauptsächl­ich biologisch­es Gerümpel! Ich schau dann am Karfreitag vorbei und hätte bitte gerne einen Essigschwa­mm!

„Zucker ist, wie man weiß, ebenso süß wie schüchtern. Deshalb versteckt er sich auch gern.“

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