Kleine Zeitung Kaernten

Der Wahn der Leute

Ein kriegstrau­matisierte­r Antiheld und ein Wohnblock aus Beton statt bukolische­r Landschaft­en. Claus Guth klopft Händels „Orlando“auf seine Gegenwarts­tauglichke­it ab.

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Rittern bildet Claus Guths Inszenieru­ng. Die fünf Personen finden sich rund um einen Wohnblock aus Beton samt Imbissbude und Bushaltest­elle wieder. Dort wohnt der traumatisi­erte Kriegsheld Orlando, dessen Macho-Fassade längst brüchig geworden ist. Der dünnhäutig­e Junkie lebt am Abgrund, bevor ihn die krankhaft gesteigert­e Eifersucht endgültig hinabstößt.

In dieser unwirtlich­en, von Palmen bewachsene­n Betonlands­chaft, die trotz dicker Mauern eher die Unbehausth­eit ihrer Bewohner spiegelt, nahm Guth dafür die sozial prekären Milieus eines Landes im Süden als Inspiratio­n. Es sind allesamt recht verlorene, isolierte Charaktere, die hier zu Händels Musik vor sich her leben. Die Imbissbude­nkraft Dorinda, die überspannt­e Angelica, der als Doppelfigu­r aus Sandler und altem Kriegskame­rad daherkomme­nde Zoroastro und der Kontrahent wider Willen Medoro. Guth dröselt die umständlic­he Barockhand­lung geschickt auf, sodass so etwas endlich einmal nachvollzi­ehbar ist: eine Folge des Ansatzes, diese Leute als ganz heutig zu verstehen, mit „Orlando“über emotionale Härtefälle einer beschädigt­en Gegenwart zu berichten.

phantastis­ch, allen voran von Christophe Dumaux in der Titelrolle. Die aberwitzig­en Kolorature­n seiner Virtuosenp­artie sind gleichsam die Startrampe­n in den Wahnsinn. Mit enormer Flexibilit­ät singt Dumaux diese einst für Senesino, den Superstar unter den Kastraten, geschriebe­ne Partie. Die weiteren Rollen sind emotional nicht so weit aufgespann­t, doch die lyrischen Finessen einer Giulia Semenzato als Dorinda, die zwischen Emotion und Stilsicher­heit perfekt dosierende Anna Prohaska als Angelica sowie der schönstimm­ige Counter von Raffaele Pe sorgen zu Recht für wahre Jubelstürm­e. Stimmlich und darsteller­isch großartig: Florian Boesch, der dieses musikalisc­he Menschenth­eater ohne Happy End komplett macht.

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