Schonungslose Abrechnung
Mitterlehner packt aus und gibt Einblick in seine schleichende Demontage.
Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner will seine heute erscheinende Autobiografie nicht als Abrechnung verstanden wissen. Führt man sich das 208-seitige Werk „Haltung“, das der Kleinen Zeitung vorliegt, zu Gemüte, ist die Verbitterung über die schleichende Demontage durch Sebastian Kurz mit Händen zu greifen. Eine nüchterne Bestandsaufnahme sieht anders aus.
Detailliert rekapituliert Mitterlehner die zweieinhalb Jahre seiner Vizekanzlerschaft, insbesondere den Machtkampf mit dem damaligen Außenminister. Im Kern wirft Mitterlehner seinem Nachfolger vor, von langer
die Übernahme der ÖVP geplant zu haben. „Kurz hatte das Grand Design im Mai 2016 schon im Kopf, das er dann 2017 auch umsetzte.“Damals wurde schon ein Meinungsforscher beauftragt, um dessen Siegeschancen abzutesten. „Die Studie ergab, dass die ÖVP mit Kurz um 15 Prozent besser abschneiden würde. Mit diesem brisanten Ergebnis klapperte Kurz die Bünde und Parteiobmänner ab, um Unterstützung für Neuwahlen zu suchen.“
Beschleunigt wurde die Entmachtung durch den Wechsel an der Spitze der SPÖ von Werner Faymann zu Christian Kern. Im Sommer 2016 soll Kurz laut Mitterlehner bereits bei Unternehmern wegen etwaiger Spenden für einen Wahlkampf vorstellig geworden sein. Auch habe Kurz Geheimverhandlungen mit Irmgard Griss und Matthias Strolz über die Bildung einer breiten Bewegung geführt. Als dann
Kern seinen Plan A im Jänner 2018 vorstellte, habe sich die Lage zugespitzt. „Die Eskalationsspirale wurde weitergedreht, als hätte es den Relaunch des Regierungsprogramms nie gegeben. Kern und ich sollten einfach keine Erfolge mehr haben.“Neben Kurz habe der damalige Innenminister und heutige Nationalratspräsident Wolfgang SoHand botka federführend die Obstruktionspolitik betrieben. „Ich fühlte mich schon damals als Platzhalter, den man werken ließ, bis man die Stunde der Übernahme für günstig hielt.“Der aktuellen Koalition wirft Mitterlehner vor, dass eine „vorrangig auf Stimmung und Anlass ausgerichtete Politik geltende Wertmaßstäbe beiseiteschiebe“. Am 8. Mai wird Mitterlehner sein Buch in einem von der Kleinen Zeitung und der Buchhandlung Moser organisierten, von Michael Jungwirth moderierten Salon präsentieren. Das Buch erscheint heute im Ecowin-Verlag (24 Euro).