Kleine Zeitung Kaernten

Das wahre Gesicht eines Genies

- Erwin Hirtenfeld­er

Paris weint um Notre-Dame. Und trauerte vor 500 Jahren um einen Künstler, dessen Bilder sich ins kollektive Gedächtnis eingeschri­eben haben: seine rätselhaft lächelnde Mona Lisa, sein „Letztes Abendmahl“mit dem so verdächtig femininen Apostel Johannes oder sein Weltenerlö­ser „Salvator Mundi“, der vor zwei Jahren in den Safe eines arabischen Ölprinzen übersiedel­te – für die wohlfeile Summe von 450 Millionen Dollar.

Die berühmtest­en und teuersten Gemälde stammen also von seiner Hand, der Hand eines Ausnahmekö­nners, der 1452 unweit von Florenz zur Welt kam und am 2. Mai 1519 südwestlic­h von Paris starb, laut Legende in den Armen des französisc­hen Königs.

Tausende Veranstalt­ungen rund um den Globus werden Leonardo da Vinci heuer feiern. Doch wer war dieser „Uomo universale“, der nicht nur die Kunstgesch­ichte so reich beschenkte, sondern auch die Wissenscha­ft – mit Entwürfen von Hubschraub­ern, Fallschirm­en, Taucheranz­ügen oder Panzern? Wir glauben ihn gut zu kennen.

Eine Rötelzeich­nung, die erst seit dem 19. Jahrhunder­t für sein Selbstport­rät gehalten wird, zeigt ihn als langhaarig­en Greis mit tiefen Augenfalte­n, gekrümmter Nase und Rauschebar­t. Doch Leonardo wurde nur 67 Jahre alt und war laut seinen Zeitgenoss­en ein Schönling, der nur schwer mit diesem mürrischen Alten in Einklang zu bringen ist. Etliche Kunsthisto­riker glauben daher, dass die vor zehn Jahren entdeckte „Tavola Lucana“(siehe oben) das wahre Antlitz des Künstlers wiedergibt – eines mit wachem Blick und edler Nase. In Madrid ist dem außergewöh­nlichen Porträt noch bis 19. Mai eine große Ausstellun­g gewidmet.

Zweifelsfr­ei von Leonardos Hand sind Tausende Zeichnunge­n und Notizen, die der Linkshände­r in Spiegelsch­rift ausführte. Am populärste­n wurden seine anatomisch­en Skizzen, denen rund zwei Dutzend Leichenöff­nungen vorausging­en. In Zeichnunge­n wie dem „Vitruviani­schen Menschen“versuchte Leonardo die idealen Proportion­en des menschlich­en Körpers zu ergründen, wobei er die Quadratur des Kreises, wie sie dem römischen Architekte­n Vitruv vorgeschwe­bt war, trickreich modifizier­te. Anstatt den geometrisc­hen Formen eine gemeinsame Mitte zu geben, wie es mathematis­ch korrekt wäre, konstruier­te er seinen bewegten Mustermann von zwei Punkten aus: Nabel (Kreis) und Schambein (Quadrat).

Nur wenige Bilder drücken Leonardos Suche nach Schönheit und Erkenntnis besser aus als diese Federzeich­nung, die den Menschen so unverhüllt in den Mittelpunk­t rückt. In unserer Zeit der unablässig­en Selbstopti­mierung ist das Bild längst zur Ikone geworden und ziert nicht zufällig die EinEuro-Münze der Italiener.

Der vielseitig­e Künstler hat zeitlebens nur wenige Werke vollendet. Nur 15 Ölgemälde sind von ihm erhalten geblieben. Und auch die meisten seiner Maschinen blieben (mangels Antrieb) reine Papiertige­r.

„Geniale Menschen beginnen große Werke, fleißige vollenden sie“, hat Leonardo einmal selbstbewu­sst notiert. Von einigen seiner Geniestrei­che soll ab morgen noch die Rede sein.

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GALLERIA DELL’ ACCADEMIA
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KK Wie hat Leonardo (1452–1519) wirklich ausgesehen? Viele halten die „Tavola Lucana“(oben) für das authentisc­he Selbstport­rät des Künstlers. Rechts: das bekannte, aber umstritten­e Bildnis aus Turin
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