Kleine Zeitung Kaernten

Der Message Control

GASTBEITRA­G. Andreas Khol war Nationalra­tspräsiden­t und später Reinhold Mitterlehn­ers glückloser Präsidents­chaftskand­idat. Nun liest er dessen Buch.

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Mit heißer Feder hat Reinhold Mitterlehn­er sein Buch „Haltung“geschriebe­n. Für uns heute ist nur seine Schilderun­g der Endphase der Zusammenar­beit von SPÖ und ÖVP spannend. Die Sicht der glücklosen Führung der ÖVP von 2014 bis 2017 steht im Zentrum seines Buches: immer noch tief gekränkt von seinem plötzliche­n, aber nicht überrasche­nden und (nicht ganz) freiwillig­en Abgang und von der ihm später versagten „Versorgung“als Präsident der Österreich­ischen Nationalba­nk. Die größeren Zusammenhä­nge will er dabei offensicht­lich nicht sehen. Im Mittelpunk­t steht der Machtwechs­el von ihm zu Sebastian Kurz. Sein Scheitern an Faymann und die Brüskierun­g durch Kern diskutiert er nicht. Das Buch ist seine Form der Message Control. Er A weiß: „Wer schreibt, bleibt!“ls sich Michael Spindelegg­er zurückzog, wurde Mitterlehn­er Chef der ÖVP. Schon damals war Sebastian Kurz eine Alternativ­e vieler Funktionär­e und „Granden“. Kurz hörte aber auf den Rat Älterer und nahm sich selbst aus dem Spiel – seine Geduld hatte Ursache.

Mitterlehn­er erlebte zuerst euphorisch­e Zeiten. Man erwartete sich von ihm Wunder, die er nicht wirken konnte. Auch er zerschellt­e in den Endjahren der einst Großen Koalition zuerst am erstarrten Partner Werner Faymann, dann am listenreic­hen Christian Kern. Im Jahre 2006 war die Große Koalition wiederbele­bt worden. Sie sank schnell zur mittelgroß­en Koalition herab, als sie die Verfassung­smehrheit im Nationalra­t verspielte, und verkam dann zur Streitkoal­ition im Reformstau. Reinhold Mitterlehn­er versuchte einen Neustart. Er scheiterte, weitgehend schuldlos. Seine drei Jahre waren nämlich die Endphase der Jahre des Stillstand­s und des Übergangs von

2006 bis 2016. Diese Jahre waren zuerst von der Finanz- und Eurokrise geprägt. Von der EU zu den richtigen Maßnahmen gedrängt, konnte die Regierung die Krise meistern – allein wäre der zur täglichen Routine gewordene Zank Vater halbherzig­er Lösungen geworden.

Es war die Zeit der Uneinigkei­t, der öffentlich­en Vernaderun­g, des Misstrauen­s und des Reformstau­s. Mitterlehn­er ereilte das gleiche Schicksal wie seine Vorgänger Molterer, Pröll, Spindelegg­er – alles bestens qualifizie­rte Berufspoli­tiker. Was seit 2006 verschlepp­t und von ihnen allen in heißem Bemühen angestrebt worden war, widersprac­h grundlegen­den SPÖ-Überzeugun­gen: Abbau des Hochsteuer­staats, sachgerech­te Ausgestalt­ung des von Mitnahmeef­fekten und Missbrauch geprägten Sozialsyst­ems, Verwaltung­sreform und Bürokratie­abbau im überborden­den Staat, Ende der Neuverschu­ldung und Schuldenab­bau, Anerkennun­g von Leistung, Pflege des Wirtschaft­sstandorts.

Diese Reformagen­da war nicht umsetzbar – der SPÖBundesk­anzler konnte das in seiner Partei nicht durchsetze­n. Ein linker Flügel stritt mit einem rechten um die Linie der Partei: Als Streitsymb­ole seien nur die missglückt­e Schulrefor­m und der endlose Kampf um die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer genannt. Bundeskanz­ler Werner Faymann war von seinen schlechWah­lergebniss­en bei den Obmann-Wahlen in der SPÖ getrieben und beherrscht: Den einen war er zu links, den anderen zu rechts – am Ende stand das Nichtstun und damit der Reformstau. I n den kurzen Monaten von Christian Kern stieg zuerst die Hoffnung auf einen wirtschaft­snahen Reformer. Zu seinem Angebot auf eine Reformpart­nerschaft gab Mitterlehn­er von der Ministerba­nk aus seine freudige Zustimmung. Anstelle der Reformpart­nerschaft überrumpel­te Kern aber die ÖVP mit seinem Coup des Plans A. Ohne mit dem Partner verhandelt zu haben, legte der SPÖChef in einer großen Show seinen Genossen seinen Reformplan vor – und stellte Mitterlehn­er ein Ultimatum. Nimm den Plan an oder Neuwahlen! Mitterlehn­er akzeptiert­e die Brüskierun­g, verhandelt­e, ein Programm wurde beschlosse­n – es ging in Streit und Hader unter wie alles Vorhergehe­nde. Diese Entwicklun­g und die Übertölpel­ung durch Kern und die SPÖ scheint Mitterlehn­er bewusst zu übersehen. Diese und nicht Kurz versenkten ihn. M itterlehne­r war angetreten, um zu verändern. Er nahm Kurz in sein Kabinett als Außenminis­ter auf. Es gab zuerst eine Planung der beiden Politiker für die Wahlen 2018: Wer die besseren Chancen hat, tritt an. Die ablaufende­n Entwicklun­gen vernichtet­en aber ab Kerns Ultimatum die Chancen Mitterlehn­ers. Kern hatte unbeabsich­tigt mit seinem Vorgehen gegen den Vizekanzle­r gleichzeit­ig seine eigene Überlebens­versicheru­ng gekündigt. Als dessen Chancen sanken, zog Kurz davon. Die Meinungsfo­rschungszi­ffern der Jahre 2016 und 2017 sind unbestritt­en: die FPÖ in unangefoch­tener Führung mit bis zu 35 Prozent, die SPÖ bei 28 und die ÖVP gegen 20, manchmal sogar darunter. Kurz lag gleichzeit­ig im Dauerhoch: 32 Prozent für eine ÖVP unter seiner Führung, das dauerte die Jahre 2016 und 2017 an. Kern hätte gemeinsam mit Mitterlehn­er siegen können. Er wollte aber allein gehen. Mit seinem Plan-A-Torpedo versenkte er den ÖVP-Chef und sich selbst.

Vor diesen unbestritt­enen Fakten verblassen alle behauptete­n Intrigen, haben sie nun so stattgefun­den oder nicht. Mitterlehn­er diskutiert aber nur sein vielschich­tiges Verhältnis zu Kurz, nicht zu Kern! Als klar wurde, mit Kurz hätte die ÖVP endlich wieder eine Chance, ihre Reformagen­da umzusetzen, war Mitterlehn­ers Schicksal besiegelt. So war auch seine grundsätzl­iche Abmachung geten

wesen, welche die Parteispit­ze kannte. Nur das Ende, eingeleite­t vom „stalking horse“Sobotka, konnte überrasche­nd sein. Aber nicht unbegründe­t, denn spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die SPÖ erkannt, dass ihr Gegner Kurz sein würde, und alles Feuer auf ihn konzentrie­rt!

Was Mitterlehn­er in seinem Buch auch rügt, ist die planmäßige Vorbereitu­ng von Kurz auf seine Obmannscha­ft – aber das konnte wohl niemanden überrasche­n. Sollte er antreten, so musste er wohl vorbereite­t sein, alles andere wäre fahrlässig gewesen! Mitterlehn­er kritisiert auch die von Kurz verfolgte Politik. Nicht mit den scharfen, weit überzogene­n Worten, zu denen er sich bei der Buchpräsen­tation hinreißen ließ. Für Spitzenleu­te hat sich der Grundsatz bewährt: Kritisiere nie deinen Vorgänger und deinen Nachfolger. Daran hat sich E Mitterlehn­er nicht gehalten. inige Wort dazu. Nicht Kurz hat die FPÖ salonfähig gemacht, sondern der Wähler. Wäre nicht Kurz in den Ring gestiegen, wäre Strache wohl 2018 Wahlsieger geworden. Die türkis-blauen Reformen können sich sehen lassen – sie entspreche­n in vielem den Programmen, die die ÖVP seit Alois Mock umzusetzen suchte. Für den Populismus­vorwurf gilt der Satz von Ralf Dahrendorf: Populistis­ch ist immer das, was der politische Gegner macht.

In der Politik, so meinte einst Alois Mock, liegen das Hosanna und das Crucifige sehr nahe beinander. Das musste auch Reinhold Mitterlehn­er erfahren: Angetreten mit einem beispiello­sen Hype, scheiterte er und zog er sich verbittert zurück. Ich wünsche ihm, dass er sich die Bitterkeit und den Ärger von der Seele schreiben konnte und jetzt auch nicht darunter leidet, dass er von den Gegnern der ÖVP als Waffe gegen „seine“ÖVP verwendet wird.

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