Kleine Zeitung Kaernten

Gott steht auf der Seite der Leidenden

Manfred Sauer über Edvard Munchs „Der Schrei“als Bild einer existenzie­llen Grunderfah­rung

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Der Schrei“, von Edvard Munch zählt wohl zu den bedeutends­ten Bildern der Kunstgesch­ichte. Aus dem Tagebuch des Künstlers: „Ich ging mit zwei Freunden die Straße entlang, die Sonne ging unter und ich fühlte eine Böe der Melancholi­e – plötzlich wurde der Himmel blutig rot. Ich blieb stehen, lehnte mich an das Geländer, müde bis zum Tod, als der brennende Himmel wie Blut und Schwert über dem blauschwar­zen Fjord und der Stadt hing. Meine Freunde gingen weiter und da stand ich und zitterte vor Angst – und ich fühlte einen riesigen unendliche­n Schrei durch die Natur.“„Der Schrei“ist für mich ein Bild einer existenzie­llen Grunderfah­rung des Menschen. Es gibt so viele Gründe, zu schreien, zu weinen, zu klagen, sich die Ohren zuzuhalten, weil man die Ungerechti­gkeit und das zum Himmel schreiende Unrecht und Leid in der Welt nicht mehr aushält.

Karfreitag erinnert uns an den grausamen und unschuldig­en Tod Jesu am Kreuz. Das Kreuz zeigt uns, wozu Macht und Herrschaft imstande sind. Damals wie heute gehen Machthaber über Leichen, wenn es gilt, den eigenen Willen durchzuset­zen und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

K arfreitag zeigt uns aber auch, dass sich Jesus den Mächtigen widersetzt, nicht mit Gewalt, sondern mit Hingabe. Er gibt sein Leben als Lösegeld für viele. Das empfinden viele immer noch als skandalös und schwer nachvollzi­ehbar.

Durch den Regierungs­entscheid vom Februar dieses Jahres wurde den evangelisc­hen, methodisti­schen und altkatholi­schen Christen der Karfreitag als Feiertag genommen. Widerstand formierte sich, der auch dazu führte, wieder neu und bewusst über die Bedeutung dieses Tages nachzudenk­en. Der Karfreitag macht deutlich: Gott steht parteiisch auf der Seite der Leidenden. Ostern ist ohne Karfreitag nicht zu haben. Im Schrei der geschunden­en Kreatur bleibt Gott nicht stumm. Er leidet mit und trägt uns durch. Wer das glauben kann, der ist gewiss, dass nach dem Kreuz ein neuer Morgen anbricht. Durch Leid und Tod hindurch werden wir in ein neues Leben verwandelt.

„Karfreitag zeigt uns, dass sich Jesus den Mächtigen der Welt widersetzt, nicht mit Gewalt, nicht spektakulä­r, sondern mit Hingabe.“

Manfred Sauer ist Superinten­dent der evangelisc­hen Kirche in Kärnten

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