Kleine Zeitung Kaernten

Elias oder wie Depression heilen kann

Die Grabeskirc­he in Jerusalem, ein Ort des Zanks der Konfession­en, aber auch ein Kraftort, zu dem viele Menschen pilgern, um sich Kraft in scheinbar aussichtsl­oser Lage zu holen – wie einst der biblische Prophet Elias in der Wüste Juda.

- Von Arnold Mettnitzer

Wer die Grabeskirc­he in der Altstadt von Jerusalem als Pilger betritt, steht am Ziel seiner langen Reise. Der erste Ort, den er hinter dem Eingang vorfindet, ist der Salbungsst­ein, der an die Salbung des Leichnams Jesu auf Golgotha nach seiner Abnahme vom Kreuz erinnert. Das Wunderbare an dem Stein ist für mich seine unbestritt­ene ökumenisch­e Mitte, die Tatsache, dass er als gemeinsame­r Besitz der sechs in der Grabeskirc­he vertretene­n Konfession­en außer Streit steht.

Griechisch-orthodoxe, römisch-katholisch­e, armenische, syrisch-orthodoxe, koptische und äthiopisch-orthodoxe Christen wissen sich hier zu Hause. Um alles andere aber, was sich rund um den Salbungsst­ein befindet, wird seit jeher gerungen, gestritten, gekämpft. Wegen der in diesem Zusammenha­ng immer wieder aufbrechen­den erhebliche­n Zerwürfnis­se verwahrt die muslimisch­e Familie Joudeh seit mehreren Jahrhunder­ten die Schlüssel der

Die ebenfalls muslimisch­e Familie Nusseibeh schließt die Haupttür morgens auf und abends wieder zu.

Wer wie wir das Glück hat, an einem Sonntagmor­gen die Grabeskirc­he zu besuchen, wird das Sang- und Klangerleb­nis bei den Gottesdien­sten der verschiede­nen Konfession­en lange in Erinnerung behalten. Dazu der Weihrauch, die vielen Kerzen, die auch wir für unsere Lieben daheim entzünden, die unterschie­dlichen Sprachen, die wir nicht zu begreifen brauchen, es genügt, davon ergriffen zu sein. Das alles lässt mich diesen Sonntag als Beten mit allen Sinnen nicht mehr vergessen.

An solchem Ort tanken viele Menschen auf, holen sich Kraft und Mut für die weiteren Wege im Leben. Einige unserer Reiseteiln­ehmer gestehen mir, sie wären hierhergek­ommen in der Hoffnung, durch den Besuch solcher Orte Kraft zu tanken, Mut zu schöpfen, um besser zu wissen, wie es im Leben weitergehe­n könnte.

Dazu liest sich das Schicksal des Propheten Elija wie die geradezu „heutige“Geschichte eines Menschen, der nicht mehr weiterweiß. Sein einziger Wunsch besteht darin, hinauszuwa­ndern in die Wüste, weg von den Menschen. Das Schlimmste in seelischen Krisenzeit­en sind für die Betroffene­n die neugierige­n Fragen der Menschen, die nicht aus dem Wunsch zu helfen, sondern aus einer „eigenartig wurmstichi­gen“Wissbegier­de kommen. Elija wandert also eine Tagesreise weit in die Wüste hinein und legt sich dort mit dem Wunsch zu sterben unKirche.

ter einen Ginsterstr­auch. Diese knappe Szene aus dem Ersten Buch der Könige ist wohl eine der frühesten Beschreibu­ngen für das, was wir schwere Depression oder auch Burn-outSyndrom nennen.

„Er kam nach Beerscheba in Juda und ließ dort seinen Diener zurück. Er selbst ging eine Tagesreise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstr­auch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr.

Es ist eine gerade in

schweren Zeiten „lebensnotw­endende“Erfahrung, dass die wirksamste Therapie nicht greifen kann, wenn sie nicht angenommen

wird.

Nimm mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstr­auch und schlief ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin. Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu für dich. Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“(1 Kö 19, 3-8)

Zwei Aspekte in dieser Erzählung erscheinen mir bemerkensw­ert: Zunächst ist es eine gerade in schweren Zeiten „lebensnotw­endende“Erfahrung, dass die wirksamste Therapie nicht greifen kann, wenn sie nicht angenommen wird, wenn der andere Mensch

als „Engel“keine Chance bekommt. Hilfe anzunehmen ist immer auch eine Übung der „Demut“, Mut also, einen angebotene­n Dienst auch anzunehmen. Ich kenne viele Menschen, die dazu auch in äußerster Not nicht ohne Weiteres in der Lage waren. Es ist für mich manchmal sehr schmerzlic­h mitzuerleb­en, wie bei lebensbedr­ohlichen Krankheits­verläufen aus dahinter versteckte­n „beziehungs­kriminolog­ischen“Gründen heilsame Angebote ausgeschla­gen werden, so als wollte der Hilfsbedür­ftige den Helfenden mit seiner Weigerung, sich helfen zu lassen, bestrafen.

Der zweite Aspekt in dieser Geschichte klingt hoffnungsv­oller. Es müssen nicht Pilgerstät­ten sein, deren Kraftplätz­e seit Jahrhunder­ten außer Streit stehen, es müssen nicht Wesen mit Flügeln sein, die einen Menschen in seiner Not zum Aufstehen und Weitergehe­n motivieren. An jedem Ort in dieser Welt kann das geschehen. Jeder Mensch kann jeden Tag einem anderen Menschen einen solweit chen Liebesdien­st leisten, vorausgese­tzt, dass er mit offenen Sinnen für die Not seiner Mitmensche­n unterwegs ist. In einem mir seit dem Jahre 1968 sehr vertrauten Lied von Udo Jürgens heißt es:

„Lächelt dir nur im Stadtgewüh­l / ein ganz Fremder zu, / der wohl denkt wie du ... Diese Sekunde Glücksgefü­hl, / kaufen kannst du sie /doch im Leben nie.“

Es müssen also nicht Pilgerstät­ten und auch nicht Engel mit Flügeln sein, die als Götterbote­n für neue Perspektiv­en, für Ermutigung, Auferstehu­ng und Zuversicht sorgen. Manchmal genügt auch ein Ginsterstr­auch.

So mancher Engel weiß gar nichts vom Glück, das er anderen auszuricht­en vermochte, wie zum Beispiel jene Frau irgendwo in Oberkärnte­n, die ihrer Nachbarin Suppenkräu­ter schenkt und erst Monate später erfährt, dass sie damit wahrschein­lich das Leben eines schwer verzweifel­ten Menschen gerettet hat.

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WILLI PLESCHBERG­ER Gläubige am Salbungsst­ein, der hinter dem Tor zur Grabeskirc­he liegt. Es ist einer der wenigen alle Konfession­en verbindend­en Orte hier

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