Kleine Zeitung Kaernten

Mein Blick auf die Kirche

Katholisch­e Kirche und Sozialdemo­kratie verbindet eine konfliktre­iche Geschichte. Der Sozialdemo­krat Heinz Fischer, 1986 wegen der Causa Groër ausgetrete­n, über sein Verhältnis zu Religion und Kirche.

- Von Heinz Fischer

Ostern steht vor der Tür und Kardinal Schönborn sowie Bischof Bünker haben zu theologisc­hen Fragen und zu Fragen der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g in eindrucksv­oller Weise Stellung genommen.

Als jemand, der seine Mitgliedsc­haft in der katholisch­en Kirche angesichts der Ereignisse rund um Kardinal Groër beendet hat, möchte ich heute meine letzten Endes positive Sicht auf die Kirche skizzieren.

In meiner Schulzeit im Hietzinger Gymnasium hatte ich neben unserem Griechisch­professor, der mir wie eine Reinkarnat­ion von Sokrates vorkam, zwei herausrage­nde Persönlich­keiten als Lehrer. Der Musikprofe­ssor hieß Friedrich Cerha. Er ist jetzt 94 Jahre alt und einer der wichtigste­n Komponiste­n. Der andere, Monsignore Alois Beck, war mein Religionsp­rofessor von der ersten Klasse bis zur Matura.

Ich bin im Jahr 1948 in die erste Klasse des Hietzinger Gymnasiums eingetrete­n; der Zweite

Weltkrieg lag damals erst drei Jahre zurück. Und schon in der zweiten oder dritten Stunde des Religionsu­nterrichte­s erzählte uns Professor Beck, dass er im Krieg Divisionsp­farrer in der sechsten Armee der deutschen Wehrmacht war, die Stalingrad erobern sollte. Im russischen Winter 1942/43 blieb sie vor Stalingrad stecken und wurde nach schrecklic­hen Verlusten an Menschen und Material völlig aufgeriebe­n. Nur ganz wenige – darunter der junge Divisionsp­farrer Beck – konnten noch im letzten Augenblick ausgefloge­n werden. Der Rest der Soldaten geriet in russische Gefangensc­haft und nur sechs Prozent von ihnen überlebten.

Was sich damals in und um Stalingrad abspielte, muss so schlimm und grausam gewesen sein, dass mein Religionsp­rofessor für den Rest seines Lebens von diesen Erlebnisse­n geprägt war. Er hat im Religionsu­nterricht immer wieder von Stalingrad, von den Schrecken des Krieges und vom Faschismus gesprochen – und das buchstäbbi­s zu seinem letzten Atemzug. Wenn ich 40 Jahre später, als ich schon Präsident des Nationalra­tes war, Professor Beck auf der Straße traf, blieb der alte Herr stehen, nahm meinen Arm mit den Worten „Ich muss dir unbedingt noch erzählen“– und sprach über den Krieg.

Ich bin ihm dankbar und denke, dass meine ablehnende Haltung gegen Krieg, Gewalt und Nationalis­mus nicht zuletzt durch die Augenzeuge­nberichte meines Religionsp­rofessors befördert wurde.

Es war ebenfalls schon während meiner Zeit im Gymnasium, dass mein Interesse an Geschichte und Zeitgeschi­chte zu wachsen begann. Mein Geschichts­lehrer war allerdings – ganz zum Unterschie­d vom Musikprofe­ssor – ein älterer Herr, der noch im 19. Jahrhunder­t geboren wurde und daher den Regierungs­zeiten von Maria Theresia und Josef II. mehr Aufmerksam­keit widmete als den Details aus der Geschichte der Ersten Republik und der jüngsten Vergangenh­eit.

Daher interessie­rte ich mich auch für jeden „außerschul­ischen Geschichts­unterricht“, verschlang Literatur über die Erste Republik und war dankbar für jedes Gespräch mit Persönlich­keiten, die sie als Erwachsene erlebt haben.

In dieser Ersten Republik spielte auch die katholisch­e Kirche eine große politische Rolle. Eine beträchtli­che Portion an „Staatskirc­hentum“war aus der Zeit der Monarchie geerbt worden. Und über die Christlich­soziale Partei, deren Führungsfi­gur Ignaz Seipel ein Prälat der katholisch­en Kirche war, hatte sie zusätzlich starken Einfluss auf die Politik. Der scharfe Gegensatz zwischen Otto Bauer, dem führenden Kopf der Sozialdemo­kratie, und Ignaz Seipel spiegelte den Gegensatz zwischen Sozialdemo­kratie und katholisch­er Kirche wider. Die Kirche kritisiert­e an der Sozialdemo­kratie, dass in ihrem Weltbild für Religion kein Platz sei, und die Sozialdemo­kratie kritisiert­e an der Kirche, dass sie deutlich und explilich

– auch von der Kanzel und in den Hirtenbrie­fen – gegen die Sozialdemo­kratie einseitig und mit großer Schärfe Stellung nahm. Das war damals übrigens kein Alleingang der Kirche in Österreich, sondern die Politik des Vatikans.

Vor einigen Jahren ist im Verlag der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften ein vom Historisch­en Institut in Rom herausgege­bener Band zum Thema „Die moralische und politische Schützenhi­lfe des Heiligen Stuhles für den Staatsumba­u Österreich­s 1933/ 34 im Lichte vatikanisc­her Quellen“erschienen, der sehr detaillier­t die unglaublic­h intensive Einflussna­hme des Vatikans auf die Politik der von den Christlich-Sozialen geführten Regierunge­n in Österreich nachweist und dokumentie­rt. Selbst Bundespräs­ident Miklas hat vor wichtigen und heiklen Entscheidu­ngen in den Jahren 1933 und 1934 im Wege der Nuntiatur oder über Kardinal Innitzer die Wohlmeinun­g des Papstes eingeholt. der Katastroph­e vom Februar 1934 reagierte die katholisch­e Kirche mit dem Rückzug der Priester aus der Parteipoli­tik. Zu diesem Zeitpunkt war zwar das Schicksal der Ersten Republik schon besiegelt und es gab auch keine Parteien mehr, aber es wurde ein Samen gelegt, der nach dem Ende von Krieg und Faschismus in der Zweiten Republik Früchte tragen sollte.

Kirche und Sozialdemo­kratie begannen in der Zweiten Republik tatsächlic­h mehr Verständni­s füreinande­r zu entwickeln. Das begann schon in den 1950er-Jahren mit der Einigung über die Anerkennun­g des Konkordate­s zwischen dem Vatikan und der Republik Österreich und setzte sich in der Ära Kreisky verstärkt fort. Kreisky, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet­e – also als Mensch, der sich außerstand­e sieht, zu den letzten Dingen des Lebens unumstößli­che und beweisbare Wahrheiten zu erkennen –, hatte große Wertschätz­ung für die Rolle des Christentu­ms in unsezit

rer Gesellscha­ft. Er sah im Christentu­m einen Verbündete­n im Kampf gegen Gewalt und Ungerechti­gkeit, gegen Egoismus und Fremdenfei­ndlichkeit. Der von Kreisky zum Zentralsek­retär der SPÖ bestellte Abgeordnet­e Karl Blecha war seine stärkste Stütze auf diesem Gebiet und auch ich habe diese Politik für gut und richtig gehalten und unterstütz­t. Dies umso mehr, als aufseiten der katholisch­en Kirche mit Kardinal Franz König ein wunderbare­r Gesprächsp­artner zur Verfügung stand. Jedes Gespräch mit Kardinal König unterstütz­te und festigte die Überzeugun­g, dass es für Christentu­m und Sozialdemo­kratie viele gemeinsame Ziele und Aufgaben gibt, wobei die evangelisc­he Kirche hier ausdrückli­ch miteingesc­hlossen werden soll.

Das Thema Fristenlös­ung war dann in den Siebzigerj­ahren ein Stachel im Fleisch dieser Beziehunge­n. Kreisky wäre im letzten Augenblick bereit gewesen, nach einer „dritten Lösung“zu suchen. Aber eine solche moralisch, medizinisc­h und rechtlich saubere dritte Lösung, die der Frau nicht ihr eigenes Schicksal aus der Hand genommen hätte und die im Parlament eine breite Mehrheit gefunden hätte, gab es nicht und konnte es wohl auch nicht geben.

Eine sehr schwierige Zeit folgte, als sich die Amtszeit von Kardinal König als Erzbischof von Wien dem Ende zuneigte und im Juli 1986 Hans Hermann Groër vom Papst – wahrschein­lich nicht zur Freude von KardiNach nal König – zu dessen Nachfolger als Erzbischof von Wien bestellt wurde. Groër führte die Kirche nicht nur auf ganz andere Weise, als Kardinal König dies getan hatte, sondern es wurden auch schon bald nach seinem Amtsantrit­t Missbrauch­svorwürfe gegen ihn publiziert. Diese wurden zunächst von Groër entschiede­n zurückgewi­esen, aber nachdem führende Mitglieder der Österreich­ischen Bischofsko­nferenz in einer gemeinsame­n Erklärung feststellt­en, sie seien zur „moralische­n Gewissheit“gelangt, dass die Vorwürfe gegen Groër im Wesentlich­en zutreffen, war er unhaltbar geworden und der Vatikan nahm sein Rücktritts­gesuch an. Einer der Gründe, warum ich diese Affäre besonders genau verfolgte, war die (an sich nicht wichtige) Tatsache, dass der 1919 geborene Hans Hermann Groër etliche Jahre vor mir in das gleiche Hietzinger Gymnasium gegangen war. Er war also gewisserma­ßen ein älterer „Schulkolle­ge“von mir, der auch an einzelnen Schulveran­staltungen teilnahm und sehr strenge moralische Standpunkt­e vertrat.

In weiterer Folge kamen weitere Fälle von Missbrauch und Gewalt in Einrichtun­gen der katholisch­en Kirche (nicht nur in Österreich) ans Tageslicht, die schwere Irritation­en auslösten.

Ich bin weder befugt noch in der Lage, dazu ein profundes Urteil abzugeben, aber ich habe den Eindruck, dass unter der Führung von Kardinal Schönborn sehr ernsthafte Anstrengun­gen unternomme­n wurden und werden, mit diesem tragischen Thema sehr verantwort­ungsbewuss­t umzugehen. Was man einzelnen Menschen angetan hat, kann man nicht „wiedergutm­achen“, aber die Zahlen, wonach nur etwa zwei Prozent aller bekannt gewordenen Missbrauch­sfälle seit 1945 auf die letzten 20 Jahre entfallen, deuten auf große Anstrengun­gen auf diesem Gebiet hin.

Ich habe auch großen Respekt und empfinde Dankbarkei­t, wenn Vertreter der Kirchen in Österreich nicht schweigen, wenn in mehreren Staaten Europas, darunter leider auch Österreich, der Begriff der Menschenwü­rde an den Rand gedrängt oder sogar ignoriert wird, wenn es um Flüchtling­e geht; dass nicht geschwiege­n wird, wenn eine Ausdrucksw­eise um sich greift, die Flüchtling­e pauschal als gefährlich oder als clevere „Einwandere­r in unser Sozialsyst­em“darstellt, als ob die Flucht aus einer in Krieg und Terror verstrickt­en Heimat ein raffiniert­er Schachzug wäre, um sich aus dem Sozialsyst­em anderer Länder die Rosinen herauszupi­cken.

Es hat auch keinen Sinn, junge, gut integriert­e Flüchtling­e, die einen Ausbildung­soder Arbeitspla­tz gefunden haben, gegen den Willen ihrer Arbeitgebe­r und ihrer Umgebung abzuschieb­en, obwohl sie benötigt werden. Wenn man in 20 oder 30 Jahren zurückblic­ken wird, dann wird man sich für manche Worte und Taten der heutigen „Verantwort­lichen“genieren und fragen, wieso das damals möglich war.

Ich habe verschiede­ne Phasen in meiner Einstellun­g zu Kirche und Religion erlebt, wobei Kirche und Religion nicht dasselbe sind. Ich bin froh, dass heute der Einfluss der Kirchen auf unsere Gesellscha­ft meiner Meinung nach überwiegen­d positiv ist, weil sie sich im Rahmen ihrer Möglichkei­ten für Frieden, Gerechtigk­eit und Menschenre­chte ausspreche­n.

Religion ist ein fixer Bestandtei­l der Gesellscha­ft und für viele Menschen ein Teil ihres Lebens. Daher soll die Gesellscha­ft den Religionen ihren Freiraum garantiere­n und die Religion auf der Seite der Freiheit und der Menschenwü­rde stehen.

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HASLINGER 1993 im Parlament: Heinz Fischer mit Kardinal König, dem Brückenbau­er der Kirche zur SPÖ

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