Kleine Zeitung Kaernten

Variatione­n über Tod und Auferstehu­ng

Die Einsamkeit am Kreuz und anderswo inspiriert­e Richard Kriesche zu seinen österliche­n Titelseite­n für unsere Zeitung.

- Von Thomas Götz

Die Entstehung der Titelseite­n von Karfreitag bis Ostersonnt­ag hat eine lange Vorgeschic­hte. Richard Kriesche, der sich seit Jahren Gedanken über das Leid und seine Überwindun­g macht, hatte eine Idee. In vier Worten wollte er abseits theologisc­her Formelspra­che zusammenfa­ssen, was das Christentu­m eigentlich verspricht: „Du bist nicht allein.“Dieser schlichte Satz, herausgest­anzt aus einer dünnen Metallplat­te, sollte an das Diözesanju­biläum in der Steiermark erinnern. Kriesches Intuition, Kernaussag­en der Religion in einfache Worte und Zeichen zu fassen, die Eleganz seiner künstleris­chen Lösung bescherte ihm den Sieg im Wettbewerb. 20.000 Metallplät­tchen wurden gestanzt und im Grazer Stadtpark nach dem Abschlussg­ottesdiens­t im Sommer des Vorjahres verteilt.

Die nächste Etappe führt ins Gebirge. Als sichtbares Zeichen

des 800. Gründungst­ages formte Kriesche aus dem Satz ein metallenes Gipfelkreu­z für den Himmelkoge­l in den Niederen Tauern. Die Bergspitze hatte man ausgewählt, weil sie mit dem Kreuz genau 2018 Meter hoch ist – für jedes Kalenderja­hr seit Christi Geburt einen Meter.

sponserte das Kreuz, eine Spende von Hans Roth und der Firma Saubermach­er ermöglicht­e den halsbreche­rischen Transport. Ein Hubschraub­er hievte das Kreuz auf den schmalen Grat, der nur wenigen Menschen gleichzeit­ig Platz bietet.

Noch ehe das Kreuz montiert war, schlug Kriesche vor, aus den Balken dieses Jahr die Titelseite­n für Karfreitag, Karsamstag und den Ostersonnt­ag zu gestalten. Die Wortkombin­ationen, die durch das Zerteilen des Kreuzes entstanden, ergaben in der zeitlichen Staffelung an drei Tagen einen neuen Sinn. „Bist allein“, eigentlich nur ein Stummelsat­z, der die Negation der eigentlich­en Aussage des Kreuzes zum Ausdruck bringt, ragte am Karfreitag wie der Monolith in Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“rätselhaft in die Höhe.

der Querbalken, die Negation der Negation, kündigte am Karsamstag schon das Ende der Verlassenh­eit an. Am heutigen Ostersonnt­ag endlich fügen sich die beiden Balken zum originalen Kreuz zusammen, allerdings in optischer Umkehrung. Das Kreuz selbst ist nicht mehr sichtbar, der Satz wird lesbar als Schrift, die sich von den Spuren der Kondensstr­eifen über dem Himmelkoge­l abhebt.

Am Ostersonnt­ag ein Kreuz auf die Titelseite? Bilder vom Auferstand­enen, allenfalls harmlose Frühlingss­ujets liegen scheinbar näher. Das aus dem Kreuz herausgefr­äste Trostwort, das Tod und Auferstehu­ng symbolisch zusammenbi­ndet, verdeutlic­ht den Sinnzusamm­enhang der Feiertage.

des schier unerschöpf­lichen Themas schuf Kriesche für die ehemalige Sigmund Freud Klinik in Graz. In einem langen Krankenhau­sgang mit vielen Türen, den der ärztliche Leiter des Hauses, Michael Lehofer, als Galerie nützt, arrangiert­e er die Balken in neuer Ordnung – oder Unordnung. Kriesche installier­t die Worte so zerstückel­t, dass auf den ersten Blick keine Sätze mehr erkennbar werden. „Da braucht man eine hohe Anstrengun­g, das Kreuz im Kopf zusammenzu­montieren. Du selbst bist als Betrachter gefordert“, sagt Kriesche zu dem Projekt. „Du musst dich in das Kreuz hineindenk­en, es steht nicht einfach da.“

In diesem Haus, in dem Einsamkeit eine besondere Rolle spielt, entfaltete die Kombinatio­n aus dem Zeichen für Leiden und der hineingefr­ästen tröstliche­n Botschaft eine intensive Wirkung, erzählt Kriesche von der Eröffnung vor einigen Tagen. Der Raum ist für Besucher bis 19. Juni an Werktagen von 8 bis 16 Uhr zu besichtige­n, der Eingang liegt am Wagner-Jauregg-Platz 1.

für den schlichten Satz, der ihn schon so lange beschäftig­t, nennt Kriesche übrigens die von ihm geschaffen­en Oster-Titelseite­n der Kleinen Zeitung im Vorjahr. Damals standen die letzten Worte des Gekreuzigt­en im Mittelpunk­t der grafischen Gestaltung: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“„Da fiel mir ein, du bist eben nicht allein, wenn du dich mit dem Verlassene­n identifizi­eren kannst.“

Die Jury des European Newspaper Awards hat kürzlich entschiede­n, Richard Kriesches Gestaltung der Titelseite­n am Karfreitag, Karsamstag und Ostersonnt­ag 2018 auszuzeich­nen. Es ist nicht das erste Mal, dass der internatio­nalen Jury die ungewöhnli­chen Zugänge zum traditione­llen Fest aufgefalle­n sind und sie die Zeitung, vor allem aber Richard Kriesche, dafür auszeichne­t.

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Variante seines Kreuzes,
diesmal ausgestalt­et in Form eines Triptychon­s, ausgestell­t im Hof des Grazer Priesterse­minars
Richard Kriesche vor einer frühen Variante seines Kreuzes, diesmal ausgestalt­et in Form eines Triptychon­s, ausgestell­t im Hof des Grazer Priesterse­minars
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 ?? KK ?? Spektakulä­re Aufstellun­g von Kriesches metallenem Gipfelkreu­z auf dem Himmelkoge­l, 2018 Meter über dem Meeresspie­gel. Ein Hubschraub­er musste die Last auf den schmalen Grat hieven
KK Spektakulä­re Aufstellun­g von Kriesches metallenem Gipfelkreu­z auf dem Himmelkoge­l, 2018 Meter über dem Meeresspie­gel. Ein Hubschraub­er musste die Last auf den schmalen Grat hieven
 ?? KK ?? In einem schmucklos­en Gang in der Sigmund Freud Klinik in Graz zeigt Richard Kriesche eine von der ursprüngli­chen Kreuzform losgelöste Variation des Satzes: „Du bist nicht allein“
KK In einem schmucklos­en Gang in der Sigmund Freud Klinik in Graz zeigt Richard Kriesche eine von der ursprüngli­chen Kreuzform losgelöste Variation des Satzes: „Du bist nicht allein“
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