Variationen über Tod und Auferstehung
Die Einsamkeit am Kreuz und anderswo inspirierte Richard Kriesche zu seinen österlichen Titelseiten für unsere Zeitung.
Die Entstehung der Titelseiten von Karfreitag bis Ostersonntag hat eine lange Vorgeschichte. Richard Kriesche, der sich seit Jahren Gedanken über das Leid und seine Überwindung macht, hatte eine Idee. In vier Worten wollte er abseits theologischer Formelsprache zusammenfassen, was das Christentum eigentlich verspricht: „Du bist nicht allein.“Dieser schlichte Satz, herausgestanzt aus einer dünnen Metallplatte, sollte an das Diözesanjubiläum in der Steiermark erinnern. Kriesches Intuition, Kernaussagen der Religion in einfache Worte und Zeichen zu fassen, die Eleganz seiner künstlerischen Lösung bescherte ihm den Sieg im Wettbewerb. 20.000 Metallplättchen wurden gestanzt und im Grazer Stadtpark nach dem Abschlussgottesdienst im Sommer des Vorjahres verteilt.
Die nächste Etappe führt ins Gebirge. Als sichtbares Zeichen
des 800. Gründungstages formte Kriesche aus dem Satz ein metallenes Gipfelkreuz für den Himmelkogel in den Niederen Tauern. Die Bergspitze hatte man ausgewählt, weil sie mit dem Kreuz genau 2018 Meter hoch ist – für jedes Kalenderjahr seit Christi Geburt einen Meter.
sponserte das Kreuz, eine Spende von Hans Roth und der Firma Saubermacher ermöglichte den halsbrecherischen Transport. Ein Hubschrauber hievte das Kreuz auf den schmalen Grat, der nur wenigen Menschen gleichzeitig Platz bietet.
Noch ehe das Kreuz montiert war, schlug Kriesche vor, aus den Balken dieses Jahr die Titelseiten für Karfreitag, Karsamstag und den Ostersonntag zu gestalten. Die Wortkombinationen, die durch das Zerteilen des Kreuzes entstanden, ergaben in der zeitlichen Staffelung an drei Tagen einen neuen Sinn. „Bist allein“, eigentlich nur ein Stummelsatz, der die Negation der eigentlichen Aussage des Kreuzes zum Ausdruck bringt, ragte am Karfreitag wie der Monolith in Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“rätselhaft in die Höhe.
der Querbalken, die Negation der Negation, kündigte am Karsamstag schon das Ende der Verlassenheit an. Am heutigen Ostersonntag endlich fügen sich die beiden Balken zum originalen Kreuz zusammen, allerdings in optischer Umkehrung. Das Kreuz selbst ist nicht mehr sichtbar, der Satz wird lesbar als Schrift, die sich von den Spuren der Kondensstreifen über dem Himmelkogel abhebt.
Am Ostersonntag ein Kreuz auf die Titelseite? Bilder vom Auferstandenen, allenfalls harmlose Frühlingssujets liegen scheinbar näher. Das aus dem Kreuz herausgefräste Trostwort, das Tod und Auferstehung symbolisch zusammenbindet, verdeutlicht den Sinnzusammenhang der Feiertage.
des schier unerschöpflichen Themas schuf Kriesche für die ehemalige Sigmund Freud Klinik in Graz. In einem langen Krankenhausgang mit vielen Türen, den der ärztliche Leiter des Hauses, Michael Lehofer, als Galerie nützt, arrangierte er die Balken in neuer Ordnung – oder Unordnung. Kriesche installiert die Worte so zerstückelt, dass auf den ersten Blick keine Sätze mehr erkennbar werden. „Da braucht man eine hohe Anstrengung, das Kreuz im Kopf zusammenzumontieren. Du selbst bist als Betrachter gefordert“, sagt Kriesche zu dem Projekt. „Du musst dich in das Kreuz hineindenken, es steht nicht einfach da.“
In diesem Haus, in dem Einsamkeit eine besondere Rolle spielt, entfaltete die Kombination aus dem Zeichen für Leiden und der hineingefrästen tröstlichen Botschaft eine intensive Wirkung, erzählt Kriesche von der Eröffnung vor einigen Tagen. Der Raum ist für Besucher bis 19. Juni an Werktagen von 8 bis 16 Uhr zu besichtigen, der Eingang liegt am Wagner-Jauregg-Platz 1.
für den schlichten Satz, der ihn schon so lange beschäftigt, nennt Kriesche übrigens die von ihm geschaffenen Oster-Titelseiten der Kleinen Zeitung im Vorjahr. Damals standen die letzten Worte des Gekreuzigten im Mittelpunkt der grafischen Gestaltung: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“„Da fiel mir ein, du bist eben nicht allein, wenn du dich mit dem Verlassenen identifizieren kannst.“
Die Jury des European Newspaper Awards hat kürzlich entschieden, Richard Kriesches Gestaltung der Titelseiten am Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag 2018 auszuzeichnen. Es ist nicht das erste Mal, dass der internationalen Jury die ungewöhnlichen Zugänge zum traditionellen Fest aufgefallen sind und sie die Zeitung, vor allem aber Richard Kriesche, dafür auszeichnet.