Kleine Zeitung Kaernten

Das war erst der Anfang

Wie zwei enttäuscht­e Karrierist­en erkennen, dass das Ende ihrer Hoffnung erst der Anfang eines neuen Lebens ist, und warum aus Zwiesprach­e Zuversicht wachsen kann – Gedanken über die Emmaus-Geschichte beim Gehen durch die Wüste.

- Von Arnold Mettnitzer

Bei unserer fünfstündi­gen Wanderung durch das Wadi Qelt haben wir überall dort, wo es auch nur ein bisschen Wasser gegeben hat, die blühende Judäische Wüste erlebt. „Auferstehu­ng“ist spätestens nach einer solchen Wanderung nichts Abstraktes mehr. Die erste Bibel des Schöpfers nämlich ist die Schöpfung. An ihren „Dingen“ist am allerdeutl­ichsten zu erleben, was „Auferstehn“bedeutet.

Das setzt voraus, mit „allen diesen Dingen“in geschwiste­rlicher Verbindung zu stehen und um ihr inneres Gleichgewi­cht besorgt zu bleiben. Im Blick auf die Natur wie auf den Menschen bedeutet mir Auferstehu­ng, miteinande­r füreinande­r Verantwort­ung zu tragen!

Ungefähr elf Kilometer von Jerusalem entfernt liegt Emmaus. Dorthin sind, wie der Evangelist Lukas berichtet, zwei enttäuscht­e Freunde unterwegs. Ihr Traum, an der Seite eines Superstars Karriere zu machen, ist ausgeträum­t. Resigniert sprechen sie über all das, was sich in den letzten Tagen hat. Da spricht sie ein Fremder an und fragt, worüber sie so leidenscha­ftlich diskutiere­n. Sie bleiben stehen und fragen ihn, ob er von dem, was in Jerusalem Tagesgespr­äch ist, nichts vernommen habe. „Was U denn?, fragt er zurück. nd so erzählen sie ihm von Jesus aus Nazareth, einem Propheten, „mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk“, und dass diesen die Hohepriest­er und Führer zum Tod verurteilt hätten. Einigen Frauen seien Engel erschienen und hätten ihnen gesagt, dass er lebe. Ihn selbst allerdings hätten sie nicht gesehen. Da beginnt der Fremde ihnen darzulegen, wie sehr sie den Sinn der Schrift nicht verstanden hätten. „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichke­it zu gelangen?“, fragt er sie. Und dann fängt er an, ihnen – ausgehend von Mose und allen Propheten – zu erklären, was in der gesamten Schrift über den Messias geschriebe­n steht. Während sie so miteinande­r reden, erreichen sie Emmaus, und der Fremde tut, als wolle er weitergehe­n. Die beiden Freunde aber drängen ihn, zu bleiben. Da geht er mit und bleibt bei ihnen.

Der Fremde nimmt das Brot, spricht ein Dankgebet und teilt es mit ihnen. Da gehen ihnen die Augen auf, sie erkennen im Fremden den Freund, im Weggefährt­en den Vertrauten. Aber im Moment des Erkennens entschwind­et er ihnen. Sie sagen zueinander: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“

Noch in derselben Stunde, so erzählt Lukas, brechen sie auf, kehren nach Jerusalem zurück und finden dort ihre Freunde versammelt. Was ihnen dort an unglaublic­hen Geschichte­n erzählt wird, ergänzen sie durch eigene Erfahrung. Und im Mitereigne­t

Ich finde dich in allen diesen Dingen, denen ich gut und wie ein Bruder bin; als Samen sonnst du dich

in den geringen, und in den großen gibst du groß dich hin. Das ist das wundersame

Spiel der Kräfte, daß sie so dienend durch die Dinge gehn: in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.

Rainer Maria Rilke

Wer aufbricht und geht, weiß durch Erfahrung, dass jeder Mensch jedem

Menschen etwas zu sagen hat, was bedeutet,

dass Menschen Beziehungs­wesensindu­ndein

Leben lang bleiben.

wächst die Zuversicht, dass die Geschichte mit diesem Jesus aus Nazareth nicht nur nicht zu Ende ist, sondern im Grunde gerade eben W erst begonnen hat. as die beiden unterwegs miteinande­r und aneinander erleben, ist das, was Martin Buber mit dem schönen Satz beschreibt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“In Alexandrie­n hat man die Christen zuallerers­t „Die Leute vom Weg“genannt. Das wohl deshalb, weil das, was Menschen Halt gibt, nicht in der Stube der Gelehrsamk­eit, sondern unterwegs im Gespräch mit anderen gefunden werden kann. Wer aufbricht und geht, weiß durch täglich neue Erfahrung, dass jeder Mensch jedem Menschen etwas zu sagen hat, was ja nicht bedeutet, dass jeder Mensch von jedem Menschen immer alles wissen will, wohl aber, dass Menschen Beziehungs­wesen sind und es ein Leben lang bleiben. Aus diesem Grundbedür­fnis wachsen „Weggemeins­chaften“, aus diesen wie von selbst „Erzählgeme­inschaften“und aus diesen „Mahlgemein­schaften“.

Ausgangspu­nkt dieser österliche­n Erfahrung aber ist die Kunst, aufzuhören, voreinande­r Angst zu haben, sich daran zu erinnern, dass alle unsere Freundinne­n und Freunde zunächst O Fremde waren. stern bedeutet, miteinande­r auf dem Weg zu sein und dabei um eine Sprache zu ringen, die über Prinzipien, Rezepte und Gebote hinaus nach Worten sucht, die uneinander­reden ser Herz „entflammen“. Erst eine solche Sprache ermutigt, motiviert und heilt, erst so wird sie zur Grundmelod­ie einer Gesprächsk­ultur in unseren auf Fremdes hin offenen Erzählgeme­inschaften! Dazu braucht es eine Leidenscha­ft des Herzens, hinter den Worten das Ungesagte und vielleicht auch Unsagbare mitzuhören. Michael Ende schreibt diese Leidenscha­ft seiner kleinen Momo zu: Sie kann so zuhören, dass Schüchtern­e sich plötzlich frei und mutig fühlen.

In der Kraft solcher Erfahrung verscheuch­t die Begegnung die Resignatio­n und aus der Zwiesprach­e wächst Zuversicht. Zwiesprach­e meint aber nicht das eifrige „Aufeinande­rZureden“(Martin Buber) denkbegabt­er Menschen, das man zutreffend „Diskussion“, also „Auseinande­rschlagen“, nennt. Auch meint es nicht das schulterkl­opfende billige Einverstän­dnis miteinande­r vertrauter Menschen, die einander wie alte Hasen augenzwink­ernd zunicken. Es meint eher das, was André Heller in seiner Rede beim Gedenkakt zum 80. Jahrestag des Anschlusse­s Österreich­s an Nazi-Deutschlan­d „Weltmutter­sprache Mitgefühl“genannt und gefordert hat.

Jahrzehnte­lang habe er gedacht, etwas Besseres und deshalb zum Hochmut berechtigt zu sein, sagte Heller. Eines Tages sei er in einem Waggon der Londoner U-Bahn gestanden, habe um sich unterschie­dlichste Menschen wahrgenomm­en, die sich in unterschie­dlichsten Sprachen miteinande­r unterhalte­n hätten. In einer Art von Blitzschla­g habe er damals erkannt, dass jede und jeder von diesen Frauen und Männern, auch er selbst nicht Deutsch, Englisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch, Arabisch oder Swahili als wirkliche Mutterspra­che spricht, sondern, dass unsere wirkliche Mutterspra­che das Mitgefühl sein müsste. Es ermöglicht uns, in jedem anderen uns selbst zu erkennen, mit ihm innigst und liebevoll verbunden zu sein und diese Erkenntnis in weiterer Folge in all unseren Gedanken und Taten zu berücksich­tigen.

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WILLI PLESCHBERG­ER Ein blühender Strauch in der Judäischen Wüste zwischen Jericho und Jerusalem, dem Schauplatz von Wirken, Tod und Auferstehu­ng Jesu

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