Kleine Zeitung Kaernten

Das leere Grab

Jesu Leiden am Kreuz und sein Triumph haben viele Auslegunge­n gefunden, nicht alle sind im Geiste des Christentu­ms – Versuch einer Deutung des Ostermyste­riums.

- Von Peter Strasser

Was geschah auf Golgatha, der überliefer­ten Schädelstä­tte vor den Toren des antiken Jerusalems, um das Jahr 30? Und ist es glaubenswü­rdig, dass jenes Grab, worin der „Menschenso­hn“lag, am dritten Tage wieder leer stand?

Als recht verlässlic­h gilt ein Hinweis in den „Annales“des römischen Historiker­s Tacitus, entstanden um 117 nach Christus. Dort wird die Hinrichtun­g des Anführers einer jüdischen Sekte namens „Chresten“erwähnt. Dessen Name: Christus, „der Gesalbte“. Als Todesart steht die Kreuzigung, die schmählich­ste Art der Hinrichtun­g bei den Römern, fest. Doch welche Frage ist damit beantworte­t? Natürlich keine, lautet die Antwort des christlich Fragenden, geht es doch darum, sich der spirituell­en Bedeutung des Osterfeste­s zu vergewisse­rn, das heißt, seiner religiösen und ethischen Botschaft.

Im Jahr 1945 werden bei der oberägypti­schen Stadt Nag Hammadi bis dahin verscholle­was

ne frühchrist­liche Schriften entdeckt, darunter eine, die unter dem Namen „Koptische Petrus-Apokalypse“bekannt ist. Die Schrift – in der jüngsten Form des Ägyptische­n, dem Koptischen, abgefasst – stammt aus der Zeit um 150 n. Chr. Ihr Inhalt, der nicht in das Neue Testament aufgenomme­n wurde, umfasst das Leiden Jesu, welches Petrus im Tempel als Vision vorgeführt wird. Darin wird der Jünger belehrt, dass der Gekreuzigt­e bloß „Lösegeld“, nicht der Messias sei. Dieser, von aller Materie entbunden, offenbart sich Petrus mit den Worten: „Der, den du heiter und lachend neben dem Kreuz stehen siehst, das ist der lebendige Jesus. / Der, in dessen Hände und Füße sie die Nägel schlagen, ist dagegen nur sein

O schwaches, sterbliche­s Abbild.“stern bedürfte demnach keiner Auferstehu­ng, aber als Kehrseite jenes „lachenden“Christentu­ms stieße seine Gleichgült­igkeit ab. Der Gekreuzigt­e, so wird Petrus in der Vision beschieden, sei das Geschöpf des minderwert­igen Weltschöpf­ers „Elohim“, des alttestame­ntarischen Gottes, das „Haus der Dämonen“. Golgatha wäre so gesehen kein Strahlort einer universell­en Barmherzig­keit mehr, der Misericord­ia mit den Elenden und Leidenden, egal, ob sie Gutes oder Böses getan haben.

1937 macht sich der Philosoph Ludwig Wittgenste­in, der ein verquältes religiöses Gemüt hatte, einige Notizen, die man heute in den „Vermischte­n Bemerkunge­n“nachlesen kann. Er schreibt: „Die historisch­en Berichte in den Evangelien könnten, im historisch­en Sinn, erweislich falsch sein, und der Glaube verlöre doch nichts dadurch“, weil nämlich der „historisch­e Beweis“den Glauben

N gar nichts angeht. icht ohne Grund möchte Wittgenste­in den Glauben vor der Realität immunisier­en. Die gelehrte Bibelkriti­k hatte, den überliefer­ten Jesus, seine Taten und Worte betrifft, einen Trümmerhau­fen hinterlass­en. Das meiste war fromme Legende. Zwar existierte ein Christus als Anführer der „Chresten“, doch Wittgenste­ins Sorge ist damit noch nicht einmal berührt. Im selben Notizenkon­volut schreibt er nämlich: „Was neigt mich zu dem Gedanken an die Auferstehu­ng Christi hin?“Und er antwortet sich

selbst: Ist Jesus nicht auferstand­en, dann wäre er höchstens ein „Lehrer wie jeder andere“und könnte „nicht mehr helfen; und wir sind wieder verwaist und

I allein“. n Wittgenste­ins zweideutig­en Aussagen kommt eine tiefe Irritation zum Ausdruck, die viele aufgeklärt­e Christen heute mit sich herumtrage­n, ohne sie offen auszusprec­hen. Einerseits sind alle vermeintli­chen „Belege“in den Evangelien für die Göttlichke­it Jesu wertlos, geht es dabei doch um Übernatürl­iches; anderersei­ts könnte Jesus – so das eingewurze­lte Dogma – für jene, die an ihn glauben, kein Menschheit­serlöser sein, falls seine leibliche Auferstehu­ng niemals stattgefun­den hätte.

Ostern wäre folgerecht eine folklorist­ische Inszenieru­ng mit religiösem Aufputz. Und obwohl Jesu Auferstehu­ng von den Toten zu einem christlich­en Schlüssels­ymbol wurde, ist dessen Strahlkraf­t doch heilsgesch­ichtlich fragwürdig. Das Drama des leeren Grabes endet bei der Wiederkunf­t des Messias am Ende aller Tage, dann allerdings nicht mehr als „Lamm Gottes“, sondern, laut Offenbarun­g des Johannes, als Heerführer in glänzender Rüstung hoch zu Ross – als Weltenrich­ter am Himmel, der den größten Teil der Menschheit, all die Heere Satans und der Ungläubige­n,

E auslöscht. s ist das Rachemotiv, das hier im Hintergrun­d fortwirkt. Schon in der eingangs erwähnten Koptischen Petrus-Apokalypse ist Jesus „schadenfro­h“wegen der Dummheit der Römer. Vergeltung an den Glaubensfe­inden gilt schließlic­h als oberste Christenpf­licht. Und es war akkurat Friedrich Nietzsche, der in seiner Brandschri­ft „Der Antichrist“(1888) eine ganz andere – und wiederum neue – Sicht auf das Leiden und den Tod des Nazareners freigelegt hat.

Demzufolge sei das Christentu­m keine Lehre, sondern ein Tun – besser: ein Nicht-Tun. Jesus leistet seinen Peinigern keinen Widerstand, und so verkörpert er durch seinen Tod am Kreuz das Urchristli­che: „Nicht sich wehren, nicht zürnen, nicht verantwort­lich machen …“Hätten seine Jünger diese Geste verstanden, das Christentu­m wäre wahrhaft eine Religion des Friedens geworden, es wäre aus dem bedingungs­losen Einverstän­dnis erwachsen.

Stattdesse­n wurde, laut Nietzsche, Golgatha zum Ausgangspu­nkt einer Religion des Ressentime­nts: Alle „kranken“Instinkte der Weltvernei­nung werden schlau benützt, um an den Lebensbeja­henden Rache zu nehmen. Nur die Schwachen werden das Himmelreic­h sehen. Daher Nietzsches Fluch auf das Christentu­m, nicht auf den „göttlichen Menschen“, der am Kreuz starb. „Das ‚Himmelreic­h‘ ist ein Zustand des Herzens – nicht etwas, das ‚über der Erde‘ oder ‚nach dem Tode‘ kommt.“Es bedarf keiner Auferstehu­ng, das Grab steht leer.

Wie sollte man den „Weg und die Wahrheit und das Leben“(Joh. 14,6) finden, wenn man nicht bereit wäre, auch das Leid, das Übel und das Böse zu „bejahen“, als Teile des Weltwillen­s, der Schöpfung, der Evolution? Das ist, folgen wir Nietzsche, die Frage, die rund um die Passion Christi immer wieder neu

D gestellt werden müsste. ie Bewahrer der Tradition schütteln unwillig den Kopf. Und zu Recht. Denn die Friedensna­tur Jesu ist das typologisc­he Gegenteil zur Raubtierse­ele des von Nietzsche propagiert­en „Übermensch­en“. Beide Gestalten „bejahen“das Leben, die eine durch Gewaltlosi­gkeit, die andere durch die lustvoll brutale Gewalt, die sich das „Recht des Stärkeren“nennt.

Was also ist die Botschaft des leeren Grabes? Sicher scheint, dass es dabei um eine der tief dringendst­en Fragen geht, die der Menschheit jemals gestellt wurden.

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