Kleine Zeitung Kaernten

„Die Zeit heilt nicht alle Wunden“

Vor fünf Jahren starb Christian bei einem Autounfall. Er war 23 Jahre alt. Ein Gespräch mit seiner Mutter, Elisabeth Meixner, über den Umgang mit Schmerz, Verlust, Trauer und Trost in der Karwoche.

- Von Thomas Götz

Elisabeth Meixner sitzt in ihrem Büro in der Bildungsdi­rektion Steiermark, hinter ihrem Schreibtis­ch stehen ein paar Familienfo­tos: Christian und sein Bruder Martin, dahinter die Eltern. Strahlend lacht Christians Tochter Luisa in die Kamera. „Sie ist das bezaubernd­ste Mädchen, das es gibt auf der Welt“, sagt ihre Oma und stellt das Foto nachdenkli­ch vor sich auf den Tisch.

Die Zeit heilt alle Wunden, zitiert sie ein gängiges Sprichwort, das trösten soll. Elisabeth Meixner widerspric­ht dezidiert. „Die Zeit heilt nicht alle Wunden – zumindest nicht auf dieser Seite des Lebens. Ich weiß nicht einmal, ob sie alle Wunden vernarbt.“Fünf Jahre nach dem Tod ihres Sohnes setzt sie sich ein anderes Ziel: „Du musst lernen, damit umzugehen, wie du deine Wunden verbindest. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ist das Geschehene Teil deines Lebens, deines Empfindens, deiner Gefühle.“

Wie soll, wie kann man umgehen mit so einem Verlust? Wie ist sie umgegangen damit? Darüber offen reden, rät Meixner. Immer wieder sprechen Menschen sie an. Ihr Reden hilft vielleicht auch anderen, hofft sie. „Ich lege meinen Fokus bewusst aufs Positive, zum Beispiel auf die Arbeit mit den Kindern“, sagt die steirische Bildungsdi­rektorin. „Das ist für mich einer der Verbände der Wunde.“

Das war schon gleich nach dem Unfall so. Luisa war damals sieben Monate alt. „Dieses kleine Mädchen hat mich gebraucht, weil seine Mutter auch schwer verletzt war, lange im Krankenhau­s und dann auf Rehabilita­tion.“Als der Arzt ihr damals am Tage des furchtbare­n Unglücks eine Beruhigung­sspritze setzen wollte, wies sie auf den Kinderwage­n mit der kleinen Enkelin. Der Arzt hat verstanden – sie brauchte alle ihre Kraft und Geistesgeg­enwart für das Kind. „Ich habe das Empfinden gehabt, dass mein Sohn mir zusätzlich seine Energie geschickt hat, damit ich alles schaffen kann.“

Das Fortleben über den Tod hinaus ist für die Mutter keine Frage: „Das ist so“, sagt sie schlicht. „Ich habe immer das Gefühl, er ist da, er umgibt mich. Andere leidgeprüf­te Mütter haben mir Ähnliches erzählt.“Allerdings verarbeite jeder Mensch schmerzvol­le Erfahrunge­n anders. „Zu Christian ist ein enger Kontakt da – immer, permanent, ständig“, sagt sie in drei Anläufen, fast beschwören­d.

Ob sie hadert mit der Zufälligke­it, der Absurdität des Unfalltode­s ihres Kindes auf gerader, übersichtl­icher Strecke? „Man hadert ständig. Wenn ich an der Unfallstel­le vorbeifahr­e, dann bin ich noch nicht im Frieden mit der anderen Person, die den Unfall verursacht hat, wodurch unbeschrei­bliches Leid geschehen ist. Das braucht noch viele Jahre, viel länger, als es sich Menschen vorstellen können, die nie ähnliches Leid erfahren mussten.“

An der Unfallstel­le steht ein schlichtes Holzkreuz. „Viele Menschen sprechen uns darauf an und sagen ,Wir denken an Sie und Ihre Familie, wenn wir daran vorbeifahr­en‘. Manche zünden ein Kerzerl an.“Und sie selbst? Meidet sie den Ort? „Nein, ich bleibe immer wieder stehen, noch immer fassungslo­s, atemlos, still, stumm und zünde eine Kerze an.“Die Unfallstel­le ist für sie ein unbeschrei­blicher, ganz außergewöh­nlicher Ort, der eine surreale Atmosphäre ausstrahlt, ungewohnt in ihrem Umfeld, von Schwermut und Verzweiflu­ng geprägt und begleitet. Ihr Kind hat dort das irdische Leben

E verlassen. in Gedanke quält die Mutter bis heute: „Einer der schmerzlic­hsten Punkte ist zu wissen, dass ich nicht bei ihm war.“Trotz der schrecklic­hen Bilder, die sie damals schon bald im Internet gesehen hatte von den ineinander verkeilten Autos, wäre die Mutter lieber bei ihm gewesen. „Ich habe ihn geboren ... Ich überwinde schwer, dass mein Kind in den Armen eines fremden Menschen verstirbt, auch, wenn er ein guter Mensch ist. Das Gefühl, mich nicht verabschie­det zu haben, hat mich immer sehr belastet. Andere Eltern haben ähnlich empfunden.“Dass in Hospizen fremde Menschen die Hand Sterbender halten, ist für sie deshalb eine nur bedingt tröstliche Vorstellun­g. „Ich glaube, die Hilfe kann für mich nur darin bestehen, jemanden zu suchen, der in enger Beziehung stand zum Sterbenden.“

Ihre Enkelin Luisa weiß, dass ihr Vater nicht mehr lebt. „Als sie in den Kindergart­en gegangen ist, hat sie sich Argumente zurechtgel­egt für die Frage ,Wann kommt dein Papa?‘. ,Den Papa gibt’s hier nicht, der ist im Himmel‘, hat sie dann gesagt. Sie redet ganz nüchtern und offen darüber und will, dass ich ihr Geschichte­n von ihrem Papa erzähle.“Wie es passiert ist, weiß Luisa nicht, aber sie fragt danach. „Wenn blauer Himmel ist, sagt sie: ,Ich hab das Gefühl, der Papa schaut zu mir herunter.‘ Kinder können damit viel besser umgehen, als Erwachsene erahnen können.“

hat ihr geholfen in den schweren Tagen, Wochen und Jahren seit dem Schock? Das Umfeld der Großfamili­e nennt Meixner, die Mutter, fünf Schwestern und drei Brüder, Schwägerin­nen, die da sind, wenn man sie braucht, und sich zurückzieh­en, wenn sie spüren, die Trauernde benötigt Ruhe. Und ihre eigene Familie, ihr Mann, Freunde. Und die Natur. Spaziergän­ge im Wald fallen ihr ein und die Zyklen der Natur, des Lebens. Der Tagesrhyth­mus, die Jahreszeit­en, die Sonntagsru­he. „Natürliche Kreisläufe“, nennt Elisabeth

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Meixner es. iele Kinder lernen das nicht mehr, fürchtet die leidenscha­ftliche Pädagogin. Sie spüren die Natur nicht mehr, das Werden und Vergehen, Erblühen, Reifen, Verwelken. „Das ist aber notwendig, damit sie zu Tiefwurzle­rn werden, Bezug zur Natur finden“, betont sie. „Am Nachmittag sind kaum Kinder zu sehen. Man hat das Gefühl, das Land hat seine Kinder verschluck­t. Kinder werden oft zu sehr behütet, nicht in die SelbstWas ständigkei­t losgelasse­n, das ist nicht gut.“Und noch ein Rat: „Es schadet nicht, wenn Kinder mehrere Bezugspers­onen haben.“

Wie gehen die Männer in ihrer Familie mit dem Unglück um? „Männer trauern anders“, behauptet Frau Meixner. „Sie reden weniger über Gefühle und werden auch seltener darauf angesproch­en. Sie legen den Fokus auf andere Dinge, Dinge, die ihnen in der Seele guttun.“Christians Freunde, Fußballer und Angler wie er, treffen sich immer um seinem Todestag zu einem „Gedenkfisc­hen“am Teich in der Nähe des Hauses der Familie. „Es wird nicht viel geredet, es ist eine ganz eigene Stimmung der Stille, des freundscha­ftlichen Miteinande­rs, zutiefst verbundene­r, innig gewachsene­r Jugendband­e.“

Gibt es einen Rat, den sie Eltern geben kann, die Ähnliches durchmache­n müssen? „Es liegt bei dir selber, was du daraus machst. Ich kenne Eltern, die sind in sich zusammenge­sackt und sind aus dem Tief nie mehr herausgeko­mmen. Das, habe ich gewusst, darf nicht passieren.“„Fröhlich sein und die Spatzen pfeifen lassen“sei der Leitspruch von Christian gewesen. Immer, wenn sie Todesanzei­gen sieht, achtet sie auf das Alter. „Wenn es ein junger Mensch ist, der verstorben ist, denke ich mir,

E oh Gott, was euch erwartet!“in paar Gedanken, die ihr wichtig sind in dem Zusammenha­ng, hat Elisabeth Meixner in einem Heft aufgezeich­net: „Da ist jemand hinter dem Tor des Himmels, unser Sohn Christian, der Bruder meines Sohnes Martin, der Vater der kleinen Luisa“, steht da. „Einmal sehen wir uns wieder – das hoffen wir.“Genau das meint für sie der Satz von Paulus: „Der Tod hat keinen Stachel mehr.“

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WALTER SCHMIDBAUE­R (2) Elisabeth Meixner mit Luisas Schuhen am Fischteich. Vor fünf Jahren illustrier­ten ihre Kinderschu­he ein Gespräch über Christians Tod
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