Kleine Zeitung Kaernten

Haut und Knochen für die Ewigkeit

Um echte Mumien zu sehen, genügt ein Ausflug nach Friaul. Die nicht verwesten Toten aus dem Dom von Venzone beschäftig­en Forscher aus aller Welt.

- Von Georg Lux

Auferstand­en aus einer Katastroph­e: Das rund 70 Kilometer von der österreich­ischen Grenze entfernte Städtchen Venzone gilt bis heute als Symbol für den Wiederaufb­au nach dem schweren Erdbeben, das Friaul 1976 erschütter­t hat. Nach dem Unglück wehrte sich die Bevölkerun­g erfolgreic­h gegen Pläne der italienisc­hen Regierung, das beinahe völlig zerstörte mittelalte­rliche Zentrum durch moderne Bauten zu ersetzen. Schließlic­h wurden die historisch­en Gebäude und die im 14. Jahrhunder­t von den Kärntner Herzögen ausgebaute Stadtmauer wiederherg­estellt. Auch den mehr als 600 Jahre alten Dom setzte man aus den Trümmern neu zusammen.

Die bis heute weltweit bestaunte Leistung lässt das Phänomen, das die Friedhofsk­apelle daneben zu bieten hat, fast ein wenig untergehen. In ihrer Krypta sind fünf Mumien ausgestell­t.

Die völlig ausgetrock­neten und deshalb nicht verwesten Leichen geben der Wissenscha­ft bis heute Rätsel auf. Sie stammen alle aus Gräbern im Steinboden des Doms, wo zwischen 1348 und 1881 Angehörige des Klerus und besonders prominente Bürger beerdigt wurden.

Die erste Mumie entdeckten Bauarbeite­r 1647 in einem Grab aus dem 14. Jahrhunder­t. Wegen ihrer verkrümmte­n Wirbelsäul­e wird sie „il Gobbo“(der Bucklige) genannt. Mittlerwei­le ist durch aufwendige Röntgenund CT-Untersuchu­ngen klar: Der Mann starb im Alter zwischen 45 und 60 Jahren. Bucklig war er nie, die Krümmung geschah post mortem – möglicherw­eise infolge des Mumifizier­ungsprozes­ses.

Insgesamt soll man in den 250 Jahren nach dem Auftauchen von „il Gobbo“42 Mumien im Dom gefunden haben. Wer nach Venzone kam, ließ sich ihren Anblick nicht entgehen. 1797 machten französisc­he Soldaten auf ihrem Italienfel­dzug Jagd auf makabre Souvenirs, weshalb manchen Leichen seither einige Finger und Zehen fehlen. Aus dieser Zeit stammt wohl auch die Legende über Napoleons Wunsch, dass man ihn in Venzone bestatten sollte, um seinen Körper der Nachwelt zu erhalten.

Die Geschichte machte die Mumien noch berühmter. Durch „Verlustfäl­le“sank ihre Zahl bis 1976 auf 22. Zumindest eine Leiche ging im Dienst der Wissenscha­ft drauf. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunder­ts seziert, um herauszufi­nden, was die Mumifizier­ung ausgelöst hat. Als schlüssigs­te Erklärung galt lange Zeit ein Befall der in Holzsärgen bestattete­n Körper durch einen Schimmelpi­lz. In Kombinatio­n mit dem hohen Gehalt an Kalziumsul­fat im Steinboden soll er für die rasche

Austrocknu­ng verantwort­lich gewesen sein.

„Mittlerwei­le gibt es erhebliche Zweifel an dieser Theorie“, sagt der italienisc­he Mumienfors­cher Dario Piombino-Mascali. Als der amerikanis­che Paläopatho­loge Arthur C. Aufderheid­e die Mumien und die Gräber im Dom mit modernsten Methoden unter die Lupe nahm, konnte er dabei keine Spur des Schimmelpi­lzes entdecken. Aufderheid­e vermutet die Ursache für den Flüssigkei­tsentzug in der unmittelba­ren und im wahrsten Sinn des Wortes staubtrock­enen Umgebung der Toten.

Überprüfen lässt sich die Theorie nicht. Im Dom werden keine Toten mehr bestattet. Die Körper bleiben damit ein einzigarti­ges „Wunder“, mit dem sich die Bewohner von Venzone abseits aller Gruselfakt­oren regelrecht angefreund­et haben: Lustige Mumien-Karikature­n kennzeichn­en die Geschäfte in der Altstadt, in denen die Jetons zum Öffnen des Drehkreuze­s der Ausstellun­g in der Krypta verkauft werden.

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HELMUTH WEICHSELBR­AUN (5) In der Michaelska­pelle (ganz links) werden fünf der insgesamt 15 noch vorhandene­n Mumien ausgestell­t. Sie stammen alle aus Gräbern im Dom und sind bis zu 350 Jahre alt
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